Ein paar Bemerkungen zum Fall Bindrich

1. Vielleicht erweist sich die Entscheidung von Turnierdirektor Ralph Alt gegen Falko Bindrich am Ende als Glücksfall für das deutsche Schach, illustriert sie doch schön die Fragwürdigkeit der Null-Karenz-Regel (Ziffer 6.6 Buchstabe a der FIDE-Regeln):

Jeder Spieler, der erst nach dem Spielbeginn am Schachbrett erscheint, verliert die Partie. Die Wartezeit beträgt somit null Minuten. Das Turnierreglement kann etwas anderes bestimmen.

Falko Bindrich war 14.02 Uhr am Brett, er wollte spielen, sein Gegner Oswald Gschnitzer wollte spielen, allein, sie durften nicht. IM Gschnitzer kann keine GM-Norm mehr erfüllen, GM Bindrich ist vom Turnier zurückgetreten — mit allen Folgen (kampflose Punkte, Wertungsfragen). Man darf sich fragen, welchen Vorteil die Regel bringt und welchen Nachteil und was überwiegt. Frank Zeller hat noch in der Nacht nach der Entscheidung einen wütenden Artikel geschrieben, dem habe ich nichts hinzuzufügen.

2. Falko Bindrich hat seine Sicht der Ereignisse hier geschildert und seinen Rückzug damit begründet, dass er sich ungerecht behandelt fühlte (in der 2. Runde war auf den Spieler Christoph Natsidis vom Turnierdirektor deutlich länger gewartet worden) und — das finde ich natürlich besonders interessant — ihm kein Weg eröffnet wurde, die Entscheidung von Herrn Alt durch eine weitere Instanz rechtzeitig vor der neuen Runde überprüfen zu lassen.

3. Ralph Alt hat nun die Vorwürfe zurückgewiesen. In der 2. Runde sei eine Ausnahme gemacht worden, weil dies das erste Mal gewesen sei (vor der 1. Runde lag die Eröffnung), dass alle Spieler selbstständig von ihren Zimmern zum Turniersaal hätten gehen müssen. Und weiter:

Auf mehrere formale Einwände GM Bindrichs habe ich mich mit dem Mit-Schiedsrichter Jürgen Klüners beraten, ob ihm eine Regel bekannt sei, nach der bei diesem Turnier ein Schiedsrichtgericht eingerichtet werden müsse und ob man aus diesem Grund ein »ad-hoc«-Schiedsgericht einberufen müsse. Beides wurde nach Prüfung verworfen.

Ist das wirklich so? Spätestens seit Elista 2006 wissen wir ja, dass es Turniergerichte gibt. Und siehe da, eine Google-Recherche (DSB+Turniergericht+Turnierordnung) ergab nach etwa einer Minute (Ziffer A-3.3 der Turnierordnung des Deutschen Schachbundes):

Zur endgültigen Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der Regeln bzw. Bestimmungen der FIDE wird bei der DEM, der DFEM, der ODFEM, der DFMM-LV, der ODSenEM und der DSenMM-LV ein Schiedsgericht aus drei Turnierteilnehmern gewählt. Sind einer oder mehrere der Gewählten an einem Streitfall unmittelbar beteiligt, müssen Stellvertreter gewählt werden.

Wenn also vor Turnierbeginn kein Schiedsgericht gewählt worden ist, wäre es vielleicht eine Überlegung wert gewesen, das nach der Runde nachzuholen und diesem Gremium die Entscheidung zu überlassen. Mir ist nicht ganz klar, ob das Bundesturniergericht (Ziffer A-12 der Turnierordnung) bei Streitigkeiten bei der Deutschen Meisterschaft überhaupt Zuständigkeiten hat oder ob das Schiedsgericht des Turniers ausschließlich zuständig ist (was sinnvoll erscheint, weil schon wegen der notwendigen Auslosung möglichst rasch entschieden werden muss). Doch auch wenn das Bundesturniergericht für den Protest des Spielers gegen die Entscheidung allein zuständig ist, wäre meines Erachtens ein Hinweis darauf angebracht gewesen, dass das Bundesturniergericht

in eiligen Fällen auf Antrag eines Beteiligten eine einstweilige Anordnung erlassen kann (Ziffer 8 der Schiedsgericht- und Bundesturnierordnung des Deutschen Schachbundes).

Dann wäre Falko Bindrich vielleicht doch nicht abgereist.

2 Kommentare

Niklas Rickmann 2. Juni 2011

Ich verstehe diese harte Regel nicht. Ich bin zwar nicht für stundenlanges Warten, aber eine halbe Stunde Toleranzzeit wäre angebracht. Schließlich wird auch in der 1. Bundesliga so gespielt.
Die Entscheidung von Herr Alt in Runde 2 und die Entscheidung im Fall Bindrich erscheint mir nach dem Prinzip: zweierlei Maß anlegen. So eine Kleinigkeit, die zu so einem Eklat führt, schadet der DEM um so mehr.

zork 15. August 2011

Der Fehler lag bei Bindrich, der ohne Rechtsanwalt zum Turnier fuhr.

Korchnoi hatte 1978 und 1981 Alban Brodbeck dabei.

Wer nur hobbymäßig spielen will, und meint, das sei zuviel Aufwand, muss mit hobbymäßigen Entscheidungen des Turnierdirektors leben.

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