Theodor Storm

Nachdem derselbe dann ein zweites Glas gefüllt und der Pastor ihm daraus Bescheid getan hatte, schritt letzterer zu einem kleinen Tische an dem Mittelfenster, schüttete aus einem Kästchen die in Buchs geschnitzten Figuren eines Schachspiels und stellte sie auf die in die Tischplatte eingelegten Felder, ein schweigend übernommenes Amt, das er bei seinen Besuchen stets zu üben pflegte.

Auch heute ließ der Hausherr ihn gewähren, und bald saßen beide sich gegenüber; der geistliche Herr im schwarzen Talar, das gleichfarbige Käppchen auf dem dünnen Haare, das an den hageren Schläfen niederhing; der andre im bequemen Hauskleid, das er oft zur Seite schlug, als ob es ihn beklemme; der Wein stand neben ihnen, und der Junker stürzte oft sein Glas hinunter. Aber sein Spiel war nicht wie sonst, wo er nach kurzer Weile dem Pastor ein „Viktoria!“ zuzurufen pflegte; heute hatte er schon mehrmals auf bescheidene Erinnerung desselben seinen Zug zurückgenommen; aber immer wieder schob er Bauern und Offiziere unachtlich über die Felder und faßte sie, als ob er sie zerbrechen möchte.

„Mein Herr Patron“, sagte der Pastor, „wälzt wichtigere Dinge in Gedanken; Eure Dame steht abermals im Schach!“

Da schob der Junker das Tischlein von sich, daß die Figuren durcheinanderstürzten. „Das Spiel ein andermal! Ich hab‘ mit Ihm zu reden, Pastor!“

Theodor Storm: Zur Chronik von Grieshuus (1884)

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