Ich weiß nicht, sagte er. Im Auto dachte ich noch, wenn sie mit reinkommt, fang bloß nicht an, über Schach zu reden. Es nimmt ohnehin schon zu viel Platz in meinem Leben ein, um ehrlich zu sein. Ganz im Ernst, ich verbringe viel zu viel Zeit damit, weil ich gar nicht mal so gut bin. Auch wenn es mich echt fertigmacht, das zuzugeben. Weißt du, mir haben schon immer Leute gesagt, dass ich dem Ganzen zu viel Zeit widme, und ich habe gedacht, sie kapieren es eben nicht. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht vielleicht einen großen Teil meines Lebens verschwendet habe. Wenn andere Leute ausgegangen sind und Spaß hatten und Freundinnen und so etwas, saß ich zu Hause und habe gelesen. Man muss eine Menge über Eröffnungsstrategien lesen – da geht es um den Anfang einer Partie, um die ersten Züge. Es ist nicht mal besonders interessant, aber man muss sich damit befassen. Man hat die ganzen Bücher mit den Eröffnungen und dann noch Endspielstrategien, die ehrlich gesagt auch ziemlich schablonenhaft sein können, und wofür das alles? Nur um im Mittelspiel eine okaye Stellung zu haben und halbwegs gut Schach zu spielen. Was mir meistens ohnehin nicht gelingt. Manchmal denke ich, wenn ich noch mal fünfzehn wäre, würde ich einfach aufhören. Ich war damals schon ziemlich gut, viel besser bin ich jetzt auch nicht. Ich hätte stattdessen zum Beispiel ein paar Leute kennenlernen können.
— Sally Rooney: Intermezzo. Es gibt wohl nicht viele Bestseller, in denen einer der Protagonisten FIDE-Meister ist. Alles, was im Buch mit Schach zu tun hat, ist gut recherchiert und korrekt. Ansonsten weiß ich nicht, was ich mit der modernen Erzählstrategie anfangen soll, in der alle Figuren positiv sind. Es ist gar nicht so einfach, unter diesen Voraussetzungen eine funktionierende Dramaturgie zu entwickeln. Immerhin hat der Schachspieler in der Geschichte am Ende alles unter einen Hut bekommen: die Beziehung zu seinem Bruder, die Liebe und die zweite IM-Norm.