Das en passant Schachblog bringt einen herrlich dogmatischen Artikel von Richard Réti zur Eröffnungstheorie. Man beachte die kleine Eitelkeit des Autors. Jedenfalls in der Frage des Namens hat er Recht behalten. Die Abhandlung ist Rétis „Lehrbuch“ (1930) entnommen:
Am Anfang des Jahres 1923 wurden zwei derartige Indische Angriffssysteme in die Praxis der Meister eingeführt. Das eine, welches von Nimzowitsch herrührt, will nach 1. Sg1-f3, d7-d5 den Druck gegen den geschwächten Punkt e5 fortsetzen, daher 2. b2-b3 nebst Lc1-b2. Nimzowitsch, dem das Verdienst gebührt, die beste Methode der Indischen Verteidigung ausgearbeitet zu haben, hat, wie man sieht, die Methoden dieser Verteidigung auf den Angriff übertragen. Doch was für die Verteidigung gut ist, was gut ist, um Ausgleich zu erlangen, ist nicht geeignet, einen Vorteil herbeizuführen. (…)
Wenn man aus dem Anzug Vorteil schlagen will, muß man ein System spielen, welches dem Nachziehenden nicht gestattet, ohne Terrainnachteil eine geschlossene Stellung herbeizuführen, im Zentrum uneinnehmbare Bollwerke zu errichten. Man muß also, nicht wie in der Verteidigung die schwachen Punkte, sondern die starken Punkte, die werdenden Bollwerke, unter Feuer nehmen. Auf dieser Idee beruht das vom Verfasser dieses Buches eingeführte Entwicklungssystem. Weiß richtet nach 1. Sg1-f3 d7-d5 den Angriff nicht gegen den schwachen Punkt e5, sondern gegen d5, indem er mit 2. c2-c4, g2-g3 und Lf1-g2 fortsetzt. Dieses Eröffnungssystem wird in der Nomenklatur der Eröffnungstheorie nach dem Vorschlag des serbischen Meisters Vukovic mit dem Namen des Verfassers verknüpft. (…) Kmoch, welcher die Ansicht vertritt, daß man Eröffnungen nicht nach Personen benennen soll, schlägt für die beiden hier besprochenen Systeme die Bezeichnungen „Damenindischer Angriff“ und „Königsindischer Angriff“ vor. Aehnlich wie in der Indischen Verteidigung glauben wir, daß sich auch hier bald die Ueberflüssigkeit dieser Bezeichnung herausstellen wird. Während in der Verteidigung das Königsindisch im Absterben begriffen ist, wird im Angriff das Damenindisch kaum noch angewandt.
Ein Kommentar
1. Ein weiterer Beleg dafür, dass die Vordenker und Erneuerer, die Revolutionäre und Kreativen in Wirklichkeit genauso dogmatisch dachten wie z. B. Tarrasch.
2. Trotzdem irgendwie schade, dass es keinen solchen Diskurs mehr im modernen Schach gibt. Dann könnte man e. g. wenigstens mit schachphilosphischem Unterbau die Leute bekämpfen, die im Franzosen sich zur Wahl der Abtauschvariante entschließen.
3. Als Nachgeborener bin ich natürlich auch dafür, die Varianten nicht nach Personen zu benennen, weil man nahezu chancenlos geworden ist. Eine Neuerung im 24. Zuge wird wohl kaum mit einem Namen verknüpft werden, während eine Variante in abstrusen Eröffnungen wie 1. Sh3 natürlich noch Raum für unsterblichen Ruhm läßt, welcher evtl. dann zweifelhafter Natur ist.
4. Bei der Namensgebung könnte man es Sfr. Bücker (Habichd) gleichtun und die Eröffnungen mit Akronymen versehen: Französisch-Abtauschvariante (Maus = Mache alle Unentschieden sicher) oder Köngsgambit (Oma = Opfer mit Ausschweifungen).