Zwei in einem Boot

Ist schon mal jemandem aufgefallen, wie unmöglich es erscheint, einem Nicht-Schachspieler (NSP) etwas über das Spiel begreiflich zu machen, ohne sich nach spätestens drei Sätzen aus erklärungstechnischer Sicht vollkommen imkompetent vorzukommen?

Ok, ok, ich ziehe die Frage zurück! Natürlich ist das den meisten wohl schon aufgefallen. So auch mir vor nicht allzu langer Zeit. Bei einem Gespräch blickten mich plötzlich zwei fragende Augen an, als ich den Begriff des Spielstils fallen ließ. „Wie jetzt, kann man beim Schach etwa auch sowas wie aggressiv sein?“ – „Äh, ja natürlich!“

An dieser Stelle schoss mir dann das Bild durch den Kopf, das mein Gegenüber von einer Schachpartie im allgemeinen haben könnte: zwei Männer mit schütterem Haar, der Pullover spannt über dem Bauch eine Winzigkeit zuviel, sitzen sich mehr oder weniger transpirierend und schweigend gegenüber. Gekrönt wird das mit einer Dosis von stundenlanger Sprachlosigkeit. Aktivität, geschweige denn Aggressivität spricht nun wirklich nicht aus dieser Szene.

Gut, man könnte hier den Vergleich zum Fußball bemühen, in dem die Figuren den Spielern entsprechen und die über das Brett gebeugte Spieler gleichen gottähnliche Trainern. Allerdings muss ich zugeben, dass mir diese Gegenüberstellung nicht so recht zusagt. Sie mag zwar auch für den weit Außenstehenden einleuchtend sein, mir persönlich wird aber eine zu starke Beziehung zwischen Schach und Sport hergestellt. Und dabei werden ja die kreativen und ästhetischen Aspekte unseres schönes Hobbies viel zu sehr in die Nähe bloßen Erfolges und Gewinnstrebens gerückt!

Auf der Suche nach einer anderen Analogie bin ich auf das Ruderboot verfallen und mich interessiert brennend, ob der gemeine Schachspieler und vielmehr noch der gemeine NSP damit etwas anfangen kann.

Stellen wir uns zwei gegeneinander antretende Schachspieler als Menschen vor, die nur mit ihrem Gegner draußen auf dem Ozean in einem Ruderboot sitzen. Das Land ist schwimmend unter keinen Umständen zu erreichen. Nur rudernd kann man wieder festen Boden betreten. Und die volle Belohnung gibt’s natürlich nur, wenn man allein das Ufer unter seine Füße nimmt. Die logische Konsequenz ist, dass auf dem Boot ein Kampf zwischen den beiden Kontrahenten entbrennt, bei dem es darum geht, den Gegner ins Wasser zu befördern und ihn somit frühzeitig an einer vorderen Stelle der Nahrungskette einzugliedern.

Wie bekommt man da jetzt verschiedene Spielertypen mit ihren unterschiedlichen Spielstilen untergebracht?

Der klassische Remisschieber erzählt seinem Gegner, bevor der überhaupt Anstalten machen kann, einen Streit vom Zaune zu brechen, dass ein voller Punkt im Großen und Ganzen viel zu sehr überbewertet wird und jeder sollte doch bescheidener werden. Man schüttelt sich die Hände, klopft sich freundschaftlich auf die Schultern und rudert zurück, ohne allzu viel Kraft auf eine(n) Partie/Kampf ver(sch)wendet zu haben. Sollte der anbietende Spieler der stärkere von beiden sein (sagen wir mal, DWZ 1900 gegen 1700), wird er sich eventuell dazu hinreißen lassen, seinen tollen Bizeps zu präsentieren, um klar zu machen, dass ein Kampf für den anderen sowieso Unfug wäre.

Der normale Positionsspieler beginnt vorsichtig mit dem Gegner zu ringen, achtet aber gewissenhaft darauf, bloß nicht seinen festen Stand zu verlieren. Zeigen sich nach einiger Zeit keine grundlegenden Veränderungen der Kräfteverhältnisse, setzen sich die guten Leute wieder hin und schlüpfen in die Rolle des klassischen Remisschiebers.

Der gute Positionsspieler ringt ein wenig, setzt sich dann mit seinem Gegner hin, analog zum normalen Positionsspieler, rudert dann allerdings nicht sofort mit ihm zurück, sondert erzählt ein paar Geschichten über Friedfertigkeit und wie langweilig die Partie doch sei. Der unachtsame Gegner, sich längst in Sicherheit wiegend, wird ob dieses eintönigen Monologes unter Umständen einschlafen und schon hat der gute Positionsspieler sein Ziel erreicht. Der mittlerweile eingeschlafene Gegenüber wird kurzerhand ins nasse Element befördert. Wenn der dann aufwacht, was zu erwarten ist, hat sich seine Ausgangslage auf jeden Fall dramatisch verschlechtert.

Der geniale Positionsspieler geht an sich wie der gute Positionsspieler vor, mit dem Unterschied, dass er dem Gegner wenn dieser wohlig träumt, nicht eine Schubs versetzt und ins Meer verfrachtet, nein, vorher wird noch Chloroform verabreicht und dann erst geschubst, so dass das Opfer auch ja keinen Ärger mehr machen kann.

Wer eher aggressiv veranlagt ist, neigt in der Regel dazu, irgendwelchen Gesprächen mit dem anderen Bootsinsassen aus dem Wege zu gehen und tysonlike sofort den rechten Haken anzusetzen. Risiken, betreffend die eigene Standfestigkeit werden bewusst in Kauf genommen, unter Umständen aber auch für den Augenblick einfach nur ausgeblendet.

Ein auf Konter bedachter Spieler wartet nun gerade auf den Augenblick, wo die Faust auf ihn zusaust. Elegantes Ausweichen, ein Tritt gegen das Schienbein des Aggressivlings und schwupps, ist viel mehr Platz auf dem Kahn.

Bleibt lediglich die Frage zu klären, was eigentlich passiert, wenn ein Über-Bord-Gegangener versucht, wieder seinen Platz im Boot zurückzuerlangen!

Auch da tun sich diverse Optionen für den Im-Boot-Verbliebenden auf. Eine radikale Lösung wäre, ein Paddel zu nehmen und mit einem gezielten Schlag alles klar zu machen. Natürlich eine riskante Möglichkeit. Wird der Schwimmende verfehlt und bekommt das Paddel sogar noch zu fassen, dann kann der Schlagende selbst sehr schnell feuchte Unterhosen bekommen und zwar nicht zwangsläufig durch Blasenschwäche bedingt.

Alternativ besteht Aussicht darauf, schnell wegzupaddeln. Macht man das ein Weilchen, sollte der andere irgendwann erschöpft sein, schließlich spielt die Zeit für denjenigen im Boot.

Die ganz sichere Variante wäre dann, ausreichend Abstand zum Schwimmer zu halten, eventuell im Kreise um ihn herumrudern und abwarten bis alles klar ist (lässt sogar noch die Hoffnung, am Horizont einen schönen Sonnenuntergang zu erleben). So würden einem dann auch unangenehme Überraschungen erspart bleiben. Man stelle sich vor, wie man sich erschreckt, wenn beim friedlichen Rudern plötzlich eine nasse Hand hastig nach dem Bootsrand greift. Da kriegt doch jeder furchtbare Angst, wenn der Totgeglaubte auf einmal nach unserem Leben trachtet.

So, ist das nun ein Ansatz mit dem man Schachspieler gut einordnen kann, oder hat sich mein durch Schach geschwächter Geist in Dimensionen weit jenseits des Nachvollziehbaren begeben?

CH

2 Kommentare

alms 30. Januar 2006

Das Typisieren ist so eine Sache. Als Kind wollte ich in der Hauptsache gewinnen. Für Spielanlagen, Stile, historische Schachschulen etc. habe ich mich nicht interessiert. Als pubertierender Jugendlicher wollte ich wild spielen: Gambits, verrückte Eröffnungen, Opferangriff … Als Erwachsener wollte ich positionelles Schach spielen: Ulf Andersson, Valery Salov, Anatoli Karpov. Inzwischen weiß ich, dass ich eigentlich am liebsten gewinnen möchte. Ich glaube, dass man eine bestimmte Spielstärke erreicht haben muss, um von einem eigenen Spielstil sprechen zu können. Daran fehlt es mir.

Um auf das Bild zurückzukommen: Wir fahren im Kreis herum. Irgendwann verliert einer sein Ruder, stolpert beim Aufstehen im Boot, fährt das Boot gegen einen Felsen oder auf eine Sandbank. Und wenn einer über Bord geht – auch nicht schlimm. Das Wasser ist nicht tief, man kann stehen.

Katchumo 31. Januar 2006

Ist es nicht angeblich so, dass die meisten Ertrinkenden gerade dort dem Tode anheim fallen, wo sie theoretisch noch stehen könnten?

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