Das erste Mal

In der Saison 2003/04 hatten wir wegen mehrerer starker Neuzugänge die Landesliga gewonnen und waren in die Oberliga Nord-Ost aufgestiegen. Die erste Oberligapartie meines Lebens nahm den folgenden denkwürdigen Verlauf:

Püschel – Kalhorn
Berlin, 24.10.2004
B13 Caro-Kann

1.e4 c6 2.d4 d5 3.exd5 cxd5 4.Ld3 Sc6 5.c3 Dc7 6.Db3

Das warf mich fast vom Stuhl. Der Zug ist einfach schlecht.

6…Sxd4 7.Dxd5 e5 8.f4 Ld6 9.fxe5 Lxe5 10.Sa3 Le6 11.De4 Sf6 12.De3 Sg4 13.Dd2 Sf5 14.Lb5+ Kf8 15.Sf3

nach 15.Sf3

Auch im Nachhinein finde ich, dass wir beide nach dem weißen Fehler plausibel fortgesetzt haben. Er musste den Bauern auf d5 greifen, ich konnte seine Dame danach unter Entwicklung aller Leichtfiguren über das Brett scheuchen. Wir hatten dafür viel Zeit genommen, Weiß hatte vielleicht noch zehn Minuten bis zur Zeitkontrolle, Schwarz eine halbe Stunde. Mir war klar, dass jetzt der Moment gekommen war, die weiße Stellung endgültig auseinander zu reißen. Aber ich fand nichts …

15…Sxh2

Nimmt einen Bauern und den Druck aus der Stellung. Stattdessen hätte der offensichtliche Zug 15…Td8 glatt gewonnen. Aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen war ich während der Partie der Meinung, dass ich ihm damit Zeit gebe, mit 16. De2 seine Stellung zu konsolidieren und den Punkt e3 zu festigen. Abgesehen von dem einfachen 16… Lxc3+ setzt darauf aber auch 16…Lg3+ 17.hxg3 Dxg3+ 18.Kf1 Td1+ 19.Se1 Dxe1+ 20.Dxe1 Sg3+ 21.Kg1 Txe1+ 22.Lf1 Txf1 matt. Nach 16. Sd4 Sxd4 17. cxd4 Lxd4 bekommt Weiß seinen König nicht mehr aus der Mitte rochiert. Die schwarzen Drohungen sollten schnell entscheiden.

16.Sxe5 Dxe5+ 17.Kd1 Sg4 18.Te1 Dd5 19.Dxd5 Lxd5 20.Ld7 Sgh6 21.Te5 Le6

Jetzt verlor ich endgültig den Faden. Nach 21…Se7 22.Lxh6 gxh6 stehe ich wegen seines schwachen Bauers auf g2 immer noch besser.

22.Lxe6 fxe6 23.Txe6 Kf7 24.Te2 The8 25.Tf2 Kg6 26.Lxh6 Sxh6 27.Sc4

Remis wollte Weiß schon längst nicht mehr haben – auch mit zwei Minuten auf der Uhr nicht. Ich rannte jetzt einfach wie ein Blöder nach vorn.

27…Tf8 28.Se5+ Kg5 29.Sf3+ Kf4 30.Kc2 Sg4 31.Te2 Se3+ 32.Kb3 Sxg2

Erst von nun an stehe ich schlechter. 32…Tf6 hätte noch das Gleichgewicht gehalten.

33.Txg2 Kxf3 34.Txg7 Th8 35.Tf1+ Ke4 36.Te7+ Kd5 37.Th1 h5 38.Th4 Tag8

Zwei Fehler vor der Zeitkontrolle runden die Partie endgültig ab. Ich muss natürlich mit 38…b6 39.c4+ Kd6 40.Tg7 den b-Bauern behalten und ein Turmendspiel mit zwei gegen drei Bauern an einem Flügel versuchen. Der h-Bauer war doch ohnehin weg.

39.Txb7 Tb8 40.Txh5+ Kc6 41.Txb8 Txb8+ 42.Kc2 1-0

Hiernach verließ ich rasch das Spiellokal, ein klammes Hinterzimmer in einem Berliner S-Bahnhof. Lange schaute ich draußen den Leuten zu, die etwas besseres vorhatten, als sich diesen sonnigen Oktobersonntag mit Schachspielen zu verderben.

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4 Kommentare

CBartolomaeus 21. November 2005

Eine kleine Ergänzung: Du warst nicht der Einzige, der Trost beim Betrachten des Oktobersonntagnachmittagstreibens suchte …

rank zero 8. Oktober 2009

Demnächst ist die Partie schon fast fünf Jahre (vorpommersche Oberligageschichte) alt! Angesichts der historischen Bedeutung könnte man das angezeigte Ergebnis aber doch einmal korrigieren…

Stefan 8. Oktober 2009

Das Blog mit einem Tippfehler zu beginnen, sollte ein gutes Zeichen sein. Danke für das aufmerksame Lesen!

goncourt 20. November 2015

Solidaritets-Vertipper zum 10jährigen!

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