In der achten Runde der 2. Landesliga kam es bei der Begegnung Greifswalder SV II – SAV Torgelow II zu folgendem Zeitnotdrama. In der Partie Jörg Augstein gegen Christof Willert hatte Christof lange Zeit ein Endspiel mit einem Mehrbauern verwaltet, diesen aber um die 2. Zeitkontrolle herum eingebüßt. Etwa um den 80. Zug herum und nach fünfeinhalb Stunden Spielzeit war schließlich zu diese Stellung erreicht.
Weiß hatte vielleicht noch drei Minuten auf der Uhr, Schwarz etwa 20 Sekunden. 1.Ld2 Kb6 2.Sf6 Lg7 3.Sg4 dürfte gewonnen sein und auch die fällige Zeitüberschreitung einkassieren. Nach längerem Nachdenken verfiel Jörg hier jedoch auf 1.Sxc5 Sxc5 2.Lxc5 Lxc5, worauf Christof sofort Remis anbot. Jörg stutze aber nur kurz und spielte 3.h6-h7??! (die Bauernumwandlung ist nicht mehr zu verhindern!), worauf einige Unruhe bei den umstehenden Kibitzen ausbrach. Unmöglicher Zug! Christof drückte schnell die Uhr und es setzte eine Diskussion ein, wie nun weiter zu verfahren sei. Die Uhr wurde erst mal angehalten. Ich war der (irrigen) Meinung, dass Weiß eine zweiminütige Zeitstrafe erhalten müsse, da dies aber angesichts der verbliebenen Bedenkzeit nicht gehe, müsse der Schwarze eine entsprechende Zeitgutschrift erhalten. Damit war Torgelow verständlicherweise nicht einverstanden. Christian Bartolomäus schlug dann salomonisch vor, dass Jörg des Remisangebot von Christof annehmen sollte. Das Gebot sei ja noch wirksam. So geschah es auch. Zweifellos eine faire Lösung, zumal Christof in der Schlussstellung auch Remis hätte reklamieren können. Die Gemüter beruhigten sich und der Torgelower Steffen Bigalke warf zur allgemeinen Erheiterung die Frage auf, ob Jörg sich im nächsten Zug eine schwarze oder eine weiße Dame geholt hätte. Er wollte sich eine schwarze Dame holen, was seine Aufgabe sicher nicht einfacher gemacht hätte.
Und wie ist die Rechtslage wirklich? Schwarz hätte zunächst die Uhr anhalten und den Schiedsrichter rufen müssen (Artikel 6.13 b der FIDE-Regeln). Der Schiedsrichter (und niemand sonst!) hätte die Stellung vor 3.h6-h7 wiederherstellen (Art. 7.4 a) und dem Schwarzen eine Zeitgutschrift von zwei Minuten gewähren (Art. 7.4 b) müssen. Der Weiße hätte das schwarze Remisangebot nicht mehr annehmen können. Das Gebot war nicht mehr wirksam, weil die Weiße es dadurch abgelehnt hat, dass er den Bauern auf h6 in der Absicht, diesen zu ziehen, berührt hatte (Art. 9.1 a).
Ganz schön kompliziert.
2 Kommentare
Das mit dem remis reklamieren ist mir nicht klar. Weiß kann ja noch
Gewinnversuche unternehmen (z.B. mit dem König nach g7 laufen und den schwarzen h6 abholen etc.pp.). Remis kann man meines Erachtens nur reklamieren, wenn die Gegenseite keine Gewinnversuche mehr macht (oder machen kann).
Gibt’s dazu genauere Informationen ?
Artikel 10.2 a) der FIDE-Regeln spricht davon, dass keine Anstrengungen unternommen werden, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen oder dass die Partie mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen ist. Was „normale Mittel“ sind, bleibt letztlich der Auslegung des Schiedsrichters überlassen. Das Schweizer Regelhandbuch (1997) hat dazu eine gute Definition gefunden: „Es geht nicht darum, ob der Antragsteller in der erreichten Stellung theoretisch, bei bestem Spiel, remis halten kann. Es geht darum, ob die Möglichkeiten für Fehler so gering sind, dass ihm zugetraut werden kann, auch in höchster Zeitnot bei sehr ungeschicktem Spiel keine Fehler zu machen.“ Das hätte man in der entstandenen Stellung wohl annehmen können, da Schwarz den einen Bauern leicht mit dem Läufer und den anderen mit dem König decken kann. Tatsächlich handelte es sich ja um eine Gewinnstellung für Schwarz!
Wichtig sind zwei Dinge:
1. Uhr anhalten für die Reklamation.
2. Nicht erst reklamieren, wenn man nur noch ein paar Sekunden hat. Ab zwei Minuten Restbedenkzeit darf reklamiert werden. Das lässt dem Schiedsrichter die Möglichkeit, die Partie noch ein bisschen weiterlaufen zu lassen. In der Zeit kann man zeigen, dass man weiß, wie die Stellung zu verteidigen ist.