Matt in einem Zug

Diese Stellung wird sicherlich vielfach abgedruckt werden. Im Wettkampf des Schachprogramms Deep Fritz 10 gegen den Schachweltmeister Wladimir Kramnik zog letzterer hier ohne jede Zeitnot 34…De3?? und war gerade auf dem Weg in seinen Ruheraum, als er mit 35.Dh7# ein einzügiges Matt kassierte. Mit dem Springer auf f8 sicher kein gängiges Mattbild, aber hatte Kramnik nach zuvor 33…Le3xTc1 34.Se6xTf8 tatsächlich geglaubt, dass er auf Gewinn steht? 34…Kg8 35.Sg6 Lxb2 36.Dd5+ Kh7 37.Sf8+ Kh8 38.Sg6+ hätte dagegen zum Remis durch Dauerschach geführt.

Unfreiwillig komisch übrigens die Berichterstattung des „Spiegels“, der ja gern einmal die Schach-Kompetenz für sich reklamiert:

In diesem Augenblick aber zeigte Kramnik den „Human Factor“, die menschliche Schwäche, die dem Rechner eben nie unterlaufen würde: Er übersah schlicht die Gefahr, dass Deep Fritz ihn binnen weniger Minuten Schach stellen könnte, und spielte, ganz auf eine eigene Strategie fixiert, auf Sieg. Zu dem aber kam es nicht mehr. Deep Fritz stellte Kramniks schwarzen König mit der weißen Dame kalt, während Kramniks Figur jede Ausweichmöglichkeit verbaut war.

7 Kommentare

Christopher 27. November 2006

Das ist richtig bitter. Ich hatte die Partie über spiegel.de verfolgt und die Audiokommentare gehört. Bevor De3 ausgeführt wurde, meinte Jussupow noch „Na, hat er etwa das Matt auf h7 übersehen?“

Kann man das Dauerschach irgendwie verhindern? g5 scheint wegen e6 nicht spielbar zu sein oder?

Ich bin gespannt, wie Kramnik diese bittere Niederlage verkraften wird und wie sich andere Großmeister dazu äußern.

Btw, gibt es auch Videoaufzeichnungen oder live Videoübertragungen von den Spielen?

Meister O 28. November 2006

Das Dauerschach nach Sg6 ist nicht zu verhindern. Einige Chancen behält Schwarz nach 33….Te8, z.B. 34. Tf1 Da6 35. Tf3 Dxe6
36. Txe3 Da6. Noch besser wäre es m.E., 31….a4 zurückzustellen, die Position zu befestigen und lieber langfristig den Gewinn mit dem Freibauern auszuspielen.

Ich hatte bei 29….Da7 reingeschaut und die Position als gewonnen abgeschätzt. Nach 31….a4 habe ich mich SOFORT gefragt, ob Kramnik Sxe6 richtig berechnet und insbesondere alle Dauerschachmöglichkeiten ausgeschlossen hat. Die nachfolgenden Züge sind forciert, und jedem halbwegs geübten Spieler springt die Drohung Dh7 an dieser Stelle in die Augen.

Es stimmt nicht, dass das Muster mit dem Sf8 ungewöhnlich ist. Es kommt via Abzug des Sg6 sogar recht häufig vor. Es gibt buchstäblich hunderte Partien mit dem Abzugsschach Sh7-f8 (und Kh7, Bg7/h6) – in keiner geht der K nach h8 (es sei denn, er darf nicht nach g8).

Es gab 1994/95 sogar mal eine heiße theoretische Spanischvariante, wo Dc2-h7 mit Sf8 ein Thema war (ohne den Abzug!). Referenzpartie ist Anand-Jussupow. Jeder, der sich seinerzeit auf Profiniveau mit Schach beschäftigt hat, muss wenigstens daher das Motiv kennen.

Es ist nicht bitter, sondern einfach lächerlich. Ein Weltklassespieler müsste eigentlich bei den komfortablen Matchbedingungen das relativ schwache Programm pulverisieren.

Kramnik hat der Redewendung „sich dumm und dämlich verdienen“ eine völlig neue Bedeutung verliehen.

admin 28. November 2006

Zum Thema gehört auch dieser schöne Artikel: http://pinwand.musagetes.de/?p=57
Im Ãœbrigen finde ich den Abzug durchaus thematischer, auf zuvor Sg6-f8 mit Abzugsschach würde wohl kein Mensch Kh7-h8 spielen. Kramnik wird jetzt froh sein, nicht den mitunter etwas gestrengen Meister O zum Trainer zu haben.

alex63 28. November 2006

mich interessiert die frage „wie konnte das passieren?“

bin mir nicht sicher, ob gier hier eine rolle spielt, auf jeden fall hat sich kramnik’s gesichtsfeld nach dem turmtausch wohl völlig verengt. das problem könnte gewesen sein, dass er den springer nicht mehr als springer (mit dem aktionsradius eines springers) gesehen hat, sondern nur als figur, die einen abtausch durchgeführt hat. er war mit den gedanken woanders. auf dem damenflügel, bei seinen verbundenen bauern. wahrscheinlich hat er geglaubt, dass der damentausch forciert ist weil er mit seinem zug ja auch matt droht. in seinem engen blickwinkel gab es nur noch remis oder gewinn. in so einer position nach dem so offensichtlichen patzer hoch drei hätte ich, glaube ich, kurz nach ausführung des zugs gemerkt, dass ich da völligen bockmist gebaut hätte. diese schreckliche sekunde danach, wenn es schon zu spät ist und man nix mehr machen kann. wenn man sich in grund und boden schämt. aber kramnik spielt hier gegen einen computer. deswegen ist er wohl auch seelenruhig gen ruhezone geschlendert und hat erst nach der zuschauerreaktion gemerkt, dass da was schief gelaufen ist.

dass gerade kramnik so ein lethaler schnitzer unterläuft, macht ihn mir übrigens eher sympathisch. ich steh ja mehr auf tausendsassas wie kasparov, shirov, morozevich und tal.

alex63 28. November 2006

kann man droht in meinem kommentar in anführungszeichen schreiben?

Permanent_Brain 29. November 2006

Zu der Formulierung »relativ schwaches Programm pulverisieren« möchte ich nachfragen, welcher Maßstab hierbei angelegt wird. Wieviel Elo leistet Deep Fritz 10? Wie würde ein Pulverisieren aussehen, und welche Spielstärkedifferenz setzt das voraus?

Könnte beispielsweise Topalov [2813] Akopian [2713] »pulverisieren?«

Könnte es sein, daß es sich selbst in Schachspielerkreisen noch immer nicht flächendeckend herumgesprochen hat, wie umfassend stark ein Top-Schachprogramm heutzutage ist? Einige zwar »erstaunliche« und meines Erachtens eher peinliche Regeln im aktuellen Match ändern daran fast nichts.

Meister O 29. November 2006

Doch, die Match-Regeln ändern daran Wesentliches! Die Stärken der Programme liegen im wesentlichen im außerschachlichen Bereich – keine Konzentrationsschwächen, kein Leistungsabfall während der Partie, ein massives fest verdrahtetes Eröffnungs- und Endspielwissen (das gespeichert ist, also nicht am Programm liegt). Ohne diese Vorteile sehen die meisten sehr alt aus, wie man gut im Fernschach sieht. Selbst Hydra (als die momentan wohl stärkste Büchse) hat da alt ausgesehen.
Die Regeln nehmen DF seinen Vorteil im Eröffnungs- und Endspielbereich und drehen es sogar um – wie gesehen, kann Kramnik in der Eröffnung nach Belieben für ihn angenehme Stellungen auswählen.

Wie ist unter den Randbedingungen die Spielstärke einzuschätzen? mit „pulverisiert“ meine ich nicht unbedingt das Ergebnis, sondern eher die Fähigkeit des Menschen, dominante Stellungen zu erreichen und sie ab und an zu einem Sieg auszubauen (idealerweise übrigens in einer geschlossenen Endspielstellung, die abgebrochen und von den Kramnik-Sekundanten zum Sieg analysiert wird, um das mal so richtig vorzuführen – genau das wäre übrigens passiert, wenn die Stellung aus dem 29. Zug der 1. Partie im 65. auf dem Brett gestanden hätte.

„Pulverisiert“ wäre dann auch ein 3,5:2,5, wenn es fünf Remis sind, in denen K niemals schlechter stand und es halt einmal gewann. Ich hätte bei einer konzentrierten Leistung eines Weltspitzenspielers allerdings eher ein 4:2 erwartet.

Das entspräche – wohl gemerkt mit den „Bonner Regeln!“ – einer Elodifferenz von 130-220 Punkten, also einer Stärke von vielleicht etwas über 2600 von DF.

Topalow spielt derzeit bekanntlich keine 2813 mehr, nachdem er seinen Knick bekommen hat er wäre derzeit eher im Bereich seiner letzten Performances anzusiedeln (vielleicht nicht ganz so schwach wie die 2636 bei Essent). Eine Elodifferenz von 100 reicht im Menschenschach aber sowieso nicht zum „Pulverisieren“ aus, die Erwartung in einem sechs-Partienmatch wäre am ehesten 3,5:2,5, aber dabei hätte eben auch Akopian in einigen Partien Siegchancen (schon bei dem riskanten Stil von Toppy). Aber das weiß sicher auch Permanent Brain genau und hat sein Beispiel eher provokativ und nicht ernst gemeint.

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