Stellungsbeurteilung

Das ist gewissermaßen eine Aufgabe „neuen Typus“, bei der ich an den Buchtitel „Stellungsbeurteilung und Plan“ von Mazukewitsch und Karpow denken musste. Die Aufgabe lautet: Weiß ist am Zug. Wie ist die Stellung einzuschätzen? Bitte mindestens drei Varianten als Beleg angeben.

Überraschenderweise weiß ich auch selbst die Lösung nicht, die Aufgabe wurde als Leserbrief eingesandt! Ganz spontan würde ich ja sagen, dass Weiß etwas gedrückt steht. Wer mag, kann sich gern mit einem Kommentar an der Auflösung beteiligen. Schachprogramme sind wie immer nicht erlaubt.

11 Kommentare

Holzgieser 20. Oktober 2006

Hier ist doch für Weiss erst einmal Defensive angesagt?
Als erstes muss wohl etwas gegen die Drohung …Sf3+ gefunden werden, was sofort gewinnen sollte für Schwarz, z.B.
Le2-g4 ? Sd4-f3+
(Lg4xf3 wird matt!)
Se5xf3 e3-e2+ kostet den Turm

Also sollte der Läufer erst einmal auf e2 verweilen, um dem aufgedeckten Schach aus dem Wege zu gehen.
Zudem droht Sd4xe2# wenn die weisse Dame irgendwelche Ausflüge unternimmt.

Td1-f1 nimmt f3 noch einmal unter Kontrolle, aber nach g7-g5 hält Schwarz das Heft weiter fest in der Hand,
z.B.:
b2-b4 Lc5-a7
Se5-g4 Sd4xe2
Dd3xe2 Sd5-c3, und nach einem Damenzug wieder das aufgedeckte Schach e3-e2.

Die rabiate Methode das Problem zu lösen:
Dd3xd4 Lc5xd4
Td1xd4 Sd5-f6 (oder f7-f6) kann auch nicht empfohlen werden.

b2-b4 Sd4xe2+
Dd3xe2 Sd5-c3 kennen wir auch schon irgendwie.

Dd3-c4 scheint die weisse Stellung einigermaßen zusammenzuhalten, …Sf3 und …Sxe2 sind erst einmal verhindert, aber bringt Schwarz doch in keinster Weise in Bedrängnis.

hmm, Uhr anhalten und dem Gegner die Hand zur Gratulation hinhalten…??
;-)

alex63 20. Oktober 2006

Wenn Schwarz am Zug wäre, würde 1. Te5: fe 2. Sf3+ Lf3: 3. e2+ Dd4 4. ed+ 5. Ld1: Ld4#: gewinnen, wenn ich es recht sehe.

Also nach 1. Dc4 würde ich 1. … La7 vorschlagen. Und Weiß dürfte große Schwierigkeiten haben, die genannte Drohung abzuwehren. Ich sehe gerade keine Verteidigung.

Wie Holzgieser schon gesagt hat, es sollte für den Weißen an der Zeit sein, aufzugeben.

admin 21. Oktober 2006

Schon beeindruckend, dass Weiß sich bei vollem Brett kaum noch rühren kann. Der König steht patt, der Turm h1 ist abgeklemmt, der Springer e5 verhindert (nicht mehr lange) Sf3+ nebst e2+, der Läufer versucht den Bauern e3 zu blockieren, die Dame deckt den Läufer und kann sich nur nach c4 bewegen. Allein der Turm d1 ist frei, kann aber auch nicht so richtig eingreifen. Wahrscheinlich würde ich Td1-f1 spielen, um f3 nochmal zu überdecken und abwarten, was passiert. Blamieren kann sich jetzt nur noch der Schwarze, Weiß hat sich schon vorher blamiert.

v.schubert 22. Oktober 2006

Holzgieser und alex63 haben den Kern richtig erfasst. Dazu aber ein wenig später. Die Stellung stammt aus einer Partie Salamon – Bilek, Ungarn 1978. Ich kenne sie bisher nur in unkommentierter Form. Dazu ein paar Gedanken aus meinenTrainingsunterlagen, die über 25 Jahre alt sind. Ich habe sie an ein paar Stellen mit Rybka 1.2 überprüft. Das merke ich an den jeweiligen Stellen mit […] an.
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.d4 cd: 4.Sd4 Sf6 5.Sc3 e5 6.Sdb5 d6 7.a4 Die Hauptfortsetzung ist 7.Lg5. Auch Sd5 wurde oft gespielt. Mit 7.a4 will Weiß verhindern, dass der Sb5 durch a6 und b5 abgedrängt wird.7…. h6 Eröffnungsbücher geben 7. …a6 an. Aber 7….h6 wurde verschiedentlich mit Erfolg gespielt, unter anderem auch von Tal. Es geht wie fast ausschließlich im Sveschnikov um die Beherrschung (nicht unbedingt Besetzung!) von d5. Ein einfaches Strategem, man hat nur eine Idee, der alles unterzuordnen ist und für die sowohl Weiß als auch Schwarz sogar zu Bauern- oder Qualitätsopfern bereit sind. [Hu, das habe ich damals wirklich geschrieben. Das „Einfache“ ist aber oft ziemlich kompliziert. Wie man als Schwarzer im Sveschnikov um d5 kämpft, sollte man sich an Partien von Kramnik und Leko zu Gemüte führen]
8.Le3 Die Hauptfortsetzung ist 8.Lc4, auch 8.Le2 gibt es. Ich halte 8.Le3 für gut. Wieder wird 8. …a6 als notwendig erachtet und 8. …Le7 als Fehler angeführt (9.Sd5 Tb8 10.Sf6:+ gf: 11.Lc4 mit weißem Vorteil).
8. …Le6 Das ist eine Neuerung. Aber weder der dreifache ungarische Meister noch andere bekannten Spieler haben diesen Zug jemals wiederholt. Und das aus gutem Grund. [bis heute nicht] 9.Sd5 Tc8 [für damaliges Verständnis ein nahezu irreales Unterfangen. Heutzutage schütteln Anand, Topalov, Shirov und die Junggroßmeistergeneration solche Qualitätsopfer aus dem Ärmel. Aber Weiß braucht das „Geschenk“ nicht anzunehmen. Sowohl 1.c3 ! als auch 10.a5 sind gut spielbar.
[10.Sf6: gf: 11.Sc3 Tg8 12.g3 f5 würde zu typischen Sveschnikow-Stellungsbildern führen, die insbesondere Kramnik gründlich untersucht hat]
10.Sa7: Ld5:! 11.Sc8: Le4: 12.Sb6 (im Ausgleichssinne war auch 12.f3 spielbar) 12. …d5 13.f3 d4 14.Sc4? Nach 14.a5 Lh7 15.Lf2 Lb4+ 16.c3 dc: ( 16. …La5: 17.Sc4 ist auch auch nur gut für Weiß) 17.Dd8:+ Kd8: 18.0-0-0 Kc7 19.bc: Lc3: 20.Ld3 Ld3: 21.Td3: La5: 22.Sc4 würde ich die Stellung lieber mit Weiß spielen. Aber auch 14.Ld2 oder 14.fe: halten Weiß gut im Spiel. Nach 14.Sc4 wird es ein Spiel auf ein Tor.
14. …Lc2: 15.Dc2: de: 16.Le2 (nach 16.Se3: Db6 17.Sc4 Lb4+ ist der schwarze Vorteil ersichtlich) 16. … Lb4+? (Nach 16. …Lc5! steht Schwarz eindeutig besser und hat alle Zeit der Welt. Es wäre ein Sieg des Geistes über die Materie) [Rybka zeigt drei Varianten an 17. 0-0, 17.Dd1 und 17.Kf1, alle drei mit leichtem Vorteil für Schwarz. Es steigt mit längerer „Bedenkzeit“ der Vorteil aber an. Meine damalige Meinung war vielleicht etwas zu optimistisch, Rybkas heutige vielleicht zu „materialistisch“.]
17.Kf1 0-0 18.Td1 (Besser ist Db3, so kann nachTe8 19.Se3: e4 20.Td1 De7 Weiß noch gut gegen die schwarzen Drohungen ankämpfen) [Rybka empfielt heute remis durch Stellungwiederholung, das Programm empfielt statt Te8 18. … Ld2, was aber wohl auch nur Ausgleich ist].
18. … Sd4 19.Dd3 Sd5 20.Se5:? (nach g3 kann Weiß noch ein bisschen mitschischen)20. …Dh4 nun ist alles aus 21.g3 (auch 21.Sg4 ist chancenlos) Dh3+ 22.Kg1 Lc5 23.f4 Te8 (auch 23. … Sf4: gewinnt).
Und wir haben die genannte Stellung. Weiß am Zug ist völlig chancenlos. Das vielleicht erhoffte Lg4 mit Damenfang verliert wie bereits in schachblätter angegeben. Nach Tf1 muss Weiß sowohl nach Td8 als auch nach Sb4! die Dame geben. Dc4 ist ebenfalls verloren 24. … Se2:+! 25.De2: Td8 mit Einsammlung der Herbstfrüchte. Im Prinzip hat ja Schwarz eine Figur mehr, wenn man den Stein auf h1 als großen Bauern definiert.

v.schubert 22. Oktober 2006

Ach ja, Weiß versuchte noch 24.Lg4 vielleicht in der Hoffnung, dass sein Gegner vor Lachen vom Stuhl fällt 24. …Sf3+ 25.Sf3: e2+ 26.Sd4 ed:D+
27.Dd1: Te1+ 0:1

CBartolomaeus 22. Oktober 2006

Hmm, interessant. Ich befürchte zwar, dass ich die Stellung noch nicht richtig verstehe, habe aber ein paar Anmerkungen und dann eine eigene Idee:

Zum einen wird 1. b4 direkt mit 1. … Sxe2+ (1. … Sc3 erlaubt 2. Lg4) 2. Dxe2 Sc3 3. D~ e2+ 4. bxc5 exd1,D+ -+ beantwortet. 1. … La7 ist gar nicht erforderlich.

Das den Turm aktivierende 1. Tc1 scheitert an der von alex63 genannten Zugfolge: 1. … Txe5 2. fxe5 (2. Txc5 Sxe2+ 3. Dxe2 Sxf4 3. Tc8+ Dxc8 4.
gxf4 Tc5 -+) Sf3+ 3. Lxf3 e2+ 4. Txc5 e1,D -+

Auch 1. Lf1 (um die Dame zu vertreiben und das Feld g2 für den König zu bekommen) ist nicht spielbar: 1. … Sf3+ 2. Sxf3 e2+ 3. Sd4 exd1,D 4. Dxd1 Te1 -+

1. Dc4 ist nicht ganz ohne Idee gespielt: Es droht immerhin 2. Txd4 und der Monsterspringer ist vernichtet. Allerdings kann Schwarz einfach 1. … Sxe2+ spielen, was 2. Dxe2 erzwingt.

Bei 1. Tf1 droht gelegentlich nach e2+ von Schwarz Matt auf f1. Eine mögliche Abwicklung (nicht erzwungen!) für Schwarz ist: 1. … Sb4 2. Dc4 Sxe2+ 3. Dxe2 Txe5 4. fxe5 Sc6 (Idee: 5. … Sd4 — die Rückkehr des Monsterspringers).

Die Frage ist also, ob Weiß seinen Turm nach einem Tausch lieber den Turm auf f1 oder auf d1 haben will. Ich neige dazu, ihn auf d1 zu bevorzugen. Mir scheint, dass er nach 4. … Sc6 in letztgenannter Variante unter doppeltem Tempoverlust nach d1 zurückkehren muss: 5. Td1 (5. Dxc2 e2+ 6. Tf2 Df1 #; 5. Txf7 Sd4 6. Dc4 Kh8 7. Tf8 Lxf8 8. Dxd4 e2 -+; 5. b4 La7) Sd4 6. Txd4 Lxd4 und nach ein paar Bauernzügen gehen Weiß die Züge aus.

Alles in allem würde ich wohl 1. Dc4 spielen, und nach 1. … Sxe2+ 2. Dxe2 darauf hoffen, dass ich mit dem Td1 wenigstens etwas Aktivität entwickeln kann, um bei Schwarzen Ungenauigkeiten Entlastungs- und Entknotungsmanöver durchführen zu können. Z.B. 2. … Sb4 3. Sxf7 (Idee 3. … Kxf7 4. Dc4+ mit 5. Dxc5, 3. … Sc6 4. Sxh6+ Kf8 5. Dc4 etc.) Die weiße Stellung bleibt aber unerfreulich.

CBartolomaeus 22. Oktober 2006

Oops, unterdessen gibt es ja schon eine Auflösung. Naja, immerhin liege ich nicht weit daneben ;-)

alex63 22. Oktober 2006

Die Stellung scheint doch komplexer zu sein als ich zuerst angenommen hatte. Vor allem die von v.schubert genannten Varianten nach Dc4 und Tf1 sind für mich etwas zu verkürzt angegeben bzw. ich kann sie nicht nachvollziehen, habe leider kein funktionierendes Schachprogramm. Kann man das noch etwas ausführlicher analysieren? Insbesondere 24. Dc4 macht mir etwas Kopfzerbrechen. 24. … La7 war natürlich Quatsch, da Weiß dann einfach 25. Td4: spielt und zwei Figuren für den Turm bekommt. Nach 24. … Se2+: 25.De2: Td8 26. Sc4 nebst Td3 scheint es mir eher der Weiße zu sein, der das Früchtchen e3 einsammelt. Wenn e3 fällt, sollte der Weiße mit einer Qualität plus Bauern besser stehen als der Schwarze. In der von meinem Vorredner erwähnten weißen Gegenangriffs-Variante mit 25. … Sb4 26. Sf7: Sc6 27. Sh6+: Kf8 28. Dc4 gh 29. Dc5+: etc. scheint mir trotz des starken schwarzen Freibauern auf e3 eher der Weiße mit Qualität und zwei Bauern im Plus auf Gewinn zu stehen. Ich habe folgendes zu 24. Tf1 gefunden:

24. Tf1 g5

a) 25. Sf3 Sf4: (mit Drohung Dg2#) 26.gf Dg4#

b) 25. a5 gf 26. gf Sf4: 27. Tf4: Te5:

ba) 28. Td4: Ld4: 29. Dd4: Tg5+ gewinnt.

bb) 28. Tg4+ Kf8 29. Tg3 Tg5 30. Tg5: hg 31. Dc4 Se2+: 32. De2: f5 gewinnt.

c) 25. Dc4 Tc8 26. Sf7: La7 27. Dd3 Se2+: 28. De2: Tc2 29. Sh6+: Kf8 30. Dc2: e2+ gewinnt

v.schubert 22. Oktober 2006

Hallo alex63,
die Analysen zur Partie habe ich gemacht als ich noch keinen Computer kannte. Die nachgesehen Computeranalysen hatte ich kenntlich gemacht.
Da fällt mir eine alte Geschichte ein. Als Kind las ich mal ein Buch (Titel weiß ich nicht mehr). Ein alter Zirkuslöwe war weggelaufen, hatte sich auf dem Markt in die Sonne gelegt und war friedlich verschieden. Alle hatten Angst, nur ein mutiger Polizist schlug dem Löwen mit einer Eisenstange auf den Kopf. Und da wurde der Löwe noch viel töter. Schon als Kind hatte ich mich über die Steigerung von tot amüsiert. Und wie dem Löwen geht es in der Analysestellung dem Weßen. Mit jedem Zug wird er noch viel „töter“
Also:
24.Dc4 Se2:+ 25. De2: Td8 Und nun Dein 26.Sc4
Wenn Du Dir die Stellung genau ansiehst, wirst Du feststellen, wenn Weiß nicht auf d8 mit Schach schlagen könnte wäre er sofort tot. Es droht dann Springer schlägt f4 und der Turm käme nach d2, kann nicht geschlagen werden, weil der Bauer schlägt und der Lc5 Schach gibt. Zu viel Drohungen, zu viel Drohungen! Also 26. … Kh7! (Td7 und mindestens fünf andere Züge gewinnen auch, weil die Dame und der Turm von Weiß völlig überlastet sind.
24.Tf1 Sb4! Wenn die Dame den Springer auf d4 schlägt, hat Weiß zuviel Material verloren. Und auch 25.Dc4 geht nicht wegen Td8!! Prüf mal nach: Weiß hat nur noch ein paar Racheschachs (es droht ja das bekannte Se2:+), z.B.: 26.Df7:+ Kh8 27.Sg6+ Kh7 28.Sf8+ Lf8: Und wieder ist der Löwe noch viel töter. Ich hoffe, dass Dich diese Zeilen zufriedenstellen. Aber immer suchen, nur so wird man besser. Viel Erfolg!
Volker

alex63 22. Oktober 2006

Vielen Dank, Volker. Das mit dem Schachprogramm bezog sich nur auf mich und meine Blockade bei der Analyse der Position. Kh7 habe ich in meiner Schachblindheit nicht gesehen. Zumindest intuitiv lag ich ja am Anfang richtig.

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