(Die Szene: des Sultans Palast.)
Saladin und Sittah spielen Schach.Sittah. Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?
Saladin. Nicht gut? Ich dächte doch.
Sittah. Für mich; und kaum. Nimm diesen Zug zurück.
Saladin. Warum?
Sittah. Der Springer wird unbedeckt.
Saladin. Ist wahr. Nun so!
Sittah. So zieh ich in die Gabel.
Saladin. Wieder wahr. – Schach dann!
Sittah. Was hilft dir das? Ich setze vor: und du bist, wie du warst.
Saladin. Aus dieser Klemme seh ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen. Mag’s! nimm den Springer nur.
Sittah. Ich will ihn nicht. Ich geh vorbei.
Saladin. Du schenkst mir nichts. Dir liegt an diesem Plane mehr, als an dem Springer.
Sittah. Kann sein.
Saladin. Mach deine Rechnung nur nicht ohne den Wirt. Denn sieh! Was gilt’s, das warst du nicht vermuten?
Sittah. Freilich nicht. Wie konnt‘ ich auch vermuten, daß du deiner Königin so müde wärst?
Saladin. Ich meiner Königin?
Sittah. Ich seh nun schon.- ich soll heut meine tausend Dinar, kein Naserinchen mehr gewinnen.
Saladin. Wieso?
Sittah. Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find ich meine Rechnung nicht. Denn außer, dass ein solches Spiel das unterhaltendste nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten mit dir wenn ich verlor? Wenn hast du mir den Satz, mich des verlornen Spieles wegen zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?
Saladin. Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?
Sittah. Zum wenigsten kann gar wohl sein, daß deine Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen, Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.
Saladin. Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!
Sittah. So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!
Saladin. Nun freilich; dieses Abschach hab ich nicht gesehn, das meine Königin zugleich mit niederwirft.
Sittah. War dem noch abzuhelfen? Laß sehn.
Saladin. Nein, nein; nimm nur die Königin. Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.
Sittah. Bloß mit dem Steine?
Saladin. Fort damit! – Das tut mir nichts. Denn so ist alles wiederum geschützt.
Sittah. Wie höflich man mit Königinnen verfahren müsse: hat mein Bruder mich zu wohl gelehrt. (Sie läßt sie stehen.)
Saladin. Nimm, oder nimm sie nicht! Ich habe keine mehr.
Sittah. Wozu sie nehmen? Schach! – Schach!
Saladin. Nur weiter.
Sittah. Schach! – und Schach! – und Schach! –
Saladin. Und matt!
Sittah. Nicht ganz; du ziehst den Springer noch dazwischen; oder was du machen willst. Gleichviel!
Saladin. Ganz recht! – Du hast gewonnen: und Al-Hafi zahlt. – Man lass ihn rufen! gleich! Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich war nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut. Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine Beständig? die an nichts erinnern, nichts bezeichnen. Hab ich mit dem Iman denn gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht die umgeformten Steine, Sittah, sind’s, die mich verlieren machten: deine Kunst, dein ruhiger und schneller Blick …
Sittah. Auch so willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen. Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.
Saladin. Als du? Was hätte dich zerstreuet?
Sittah. Deine Zerstreuung freilich nicht! – O Saladin,
Wenn werden wir so fleißig wieder spielen.
Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (1779)