Eine kleine Regelkunde

Unser lokaler Regel-Papst schickte mir nach nachfolgenden Fall zur geistigen Erbauung der Leserschaft. Thema ist natürlich Ziffer 10.2 der FIDE-Regeln:

In einem Open mit insgesamt fünf Stunden Bedenkzeit hält Weiß am Zug mit nur noch 53 Sekunden auf der elektronischen Uhr selbige an, um Remis nach Ziffer 10.2. zu reklamieren. Das Brett ist noch voller Figuren und Bauern. Schwarz mit noch gut einer Stunde Bedenkzeit hat in etwa Turm und Läufer mehr, sein König tanzt aber irgendwo auf der 6. Reihe rum und Weiß hat Dame und Turm auf der 7. Reihe. Er erklärt dem Schiedsrichter, dass er Dauerschach geben wolle, dem könne sich Schwarz nicht entziehen.

Der Schiri schaut kurz auf die Stellung und lässt weiterspielen. Weiß überlegt jetzt ca. 20 Sekunden an seinem Zug und gibt — logischerweise — Schach, Schwarz zieht sofort gegen (und notiert dabei korrekt), um Weiß keine Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Der Plan von Schwarz ist offensichtlich, in Richtung der Ecke h1 zu rennen, um dem Dauerschach zu entgehen, er hat auch noch einen Bauern auf der 3. Reihe (g3 oder f3). Weiß überlegt erneut ca. 20 Sekunden und Schwarz zieht wider sofort dagegen. Weiß mit noch 12 Sekunden auf der Uhr überlegt erneut — bis das Blättchen fällt. ABER: Es steht ein Matt in zwei Zügen auf dem Brett!

Argument Schwarz: Ich habe wegen Zeitüberschreitung gewonnen.
Argument Weiß: Das ist Remis, Schwarz kann nicht mehr gewinnen, da er in zwei Zügen Matt ist.

Wie würden Sie entscheiden?

26 Kommentare

Martin 5. August 2009

Schwierig.
Grundsätzlich wurde der Artikel ja eingebaut um ein „über die Zeit heben“ zu verhindern. Nach allem Anschein wird das jedoch nicht von Schwarz versucht, im Gegenteil er versucht dem Dauerschach zu entgehen um die Partie anschließend mit „normalen Mitteln“ (sprich seinem Materialübergewicht) zu gewinnen.
Das er dabei sich so dämlich anstellt und in ein Matt in zwei läuft ist in meinen Augen unerheblich, ich würde daher auf 0-1 wegen Zeitüberschreitung entscheiden.

Wahrscheinlich alles falsch, aber ich bin zum Glück kein schiri! :-)

Werner Berger 5. August 2009

Der Sinn des Artikels ist vom Vorredner nicht korrekt wiedergegeben.
Der Faktor „Zeit“ soll nicht in allen Fällen Oberhand gegenüber dem Faktor „Stellung“ gewinnen können.

Weiß hat überzeugend dargelegt, dass die Endstellung auf andere Weise als durch Zeitüberschreitung von Weiß nicht zu gewinnen ist.
Damit würde ich die Partie für Remis erklären (Art. 10.2. b) Satz 3, 1. Alternative).
Ob Schwarz Anstrengungen unternimmt, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen (Art. 10.2 b) Satz 3, 2. Alternative), ist unerheblich, da beide Alternativen im Eventualverhältnis zueinander stehen.
(Bei Erörterungen dieser Regel wird leider häufig über den Wortlaut der Regel hinweggegangen, und man sucht statt dessen mit diffusen Mutmaßungen, ob die Regelmacher diese oder jenes gewollt haben, zu einem Ergebnis zu kommen.)

P.S.:
Den Satz „Der Schiri schaut kurz auf die Stellung und lässt weiterspielen“ habe ich so aufgefasst, dass er die Entscheidung hinausgeschoben hat. Seine Reaktion sollte eindeutig erkennen lassen, ob er seine Entscheidung hinausschiebt oder ob er den Antrag ablehnt. Die schlichte Aufforderung „Weiterspielen“ genügt dem nicht.

Stefan 5. August 2009

Ich gebe mal noch den Wortlaut der Regel:

Wenn der Spieler weniger als zwei Minuten Restbedenkzeit hat, darf er, bevor sein Fallblättchen gefallen ist, remis beantragen. Er hält die Uhren an und ruft den Schiedsrichter herbei.
a) Falls der Schiedsrichter zur Ãœberzeugung kommt, der Gegner unternehme keine Anstrengungen, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen, oder die Partie sei mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen, erklärt er die Partie für remis. Andernfalls schiebt er seine Entscheidung hinaus.
b) Falls der Schiedsrichter seine Entscheidung hinausschiebt, darf der Gegner mit zwei zusätzlichen Minuten Bedenkzeit entschädigt werden, und die Partie wird im Beisein des Schiedsrichters fortgesetzt.
c) Falls der Schiedsrichter seine Entscheidung hinausgeschoben hat, darf er die Partie auch später noch für remis erklären, selbst nachdem ein Fallblättchen gefallen ist.

Martin 5. August 2009

@Werner: Ich hatte den Zusatz (auf den du dich beziehst) nicht mehr im Kopf.
„…oder die Partie sei mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen“ beschreibt die hier geschilderte Situation ganz gut. Von daher würde ich meine Entscheidung dann auch auf Remis abändern wollen.

Nordlicht_70 5. August 2009

Ich war live dabei. Der Schiri hat natürlich ganz korrekt seine Entscheidung hinausgeschoben.

SHL 5. August 2009

Da der Gegner gemäß a) Anstrengungen unternommen hat, die Partie mit normalen Mitteln zu gewinnen, dürfte hier ganz klar die Zeitüberschreitung den Ausschlag geben. Selbst wenn am Ende ein Matt in eins auf dem Brett stünde.

SHL 5. August 2009

„…oder die Partie sei mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen“ bezieht sich mE auf totremise Stellungen. Aber wenn Schwarz noch mattsetzendes Material hat, kann sich Weiß hierauf nun wirklich nicht beziehen.

CBartolomaeus 5. August 2009

Fuer mich sieht das nach einem klaren 0-1 durch Zeitueberschreitung aus.
Ich kenne natuerlich die fragliche Stellung nicht, in der Weiss reklamiert hat. Aber selbst wenn es wirklich ein klares und offensichtliches Dauerschach gewesen sein sollte, aus dem Schwarz nur ins Matt entfliehen konnte, haette Weiss dies ganz konkret nachweisen sollen. Am besten durch Ausfuehren der entsprechenden Zuege. Hey, mit 53 Sekunden kann man ganze Partien spielen ;-). Die Ansage „ich gebe jetzt Dauerschach“ kann m.E. nicht ausreichen.
Abgesehen davon, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Formulierung „die Partie ist mit normalen Mitteln nicht mehr zu gewinnen“ bedeuten soll, dass davon auszugehen ist, dass die reklamierende Partei keine Fehler mehr macht (z.B. ein moegliches Matt bei einigermassen vollem Brett uebersieht).

SHL 5. August 2009

„Abgesehen davon, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Formulierung “die Partie ist mit normalen Mitteln nicht mehr zu gewinnen” bedeuten soll, dass davon auszugehen ist, dass die reklamierende Partei keine Fehler mehr macht“

Wäre das so, würde ich gegen stärkere Spieler nur den ersten Zug spielen. Bei fehlerfreiem Spiel ist es Remis ;o)

Permanent Brain 5. August 2009

Die Formulierung im Reglement „…mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen“ läßt m.E. die wünschenswerte „juristische“ Präzision vermissen. Das kommt mir interpretationsbedürftig vor, und verschiedene Interpretationen werden zwangsläufig hin und wieder zu unklaren bzw. Streitfällen führen.

Was der Vorposter schrieb scheint mir ebenfalls logisch, insbesondere da Weiß keine Bedenkzeit mehr hatte. Wo sollte man die Grenze ziehen (von der in den Regeln gar nichts steht)? Was wäre wenn beispielsweise ein nachweisliches Matt in 12 auf dem Brett stand… also das ist kein gültiges Argument glaube ich. Da könnte jeder der in einer objektiv besseren Stellung, oder wo Remis erzwingbar war, die Zeit überschreitet, Einwände gegen die Niederlage machen.

Naheliegend fände ich zwecks Interpretation im Geist des Reglements quasi eine Umkehrung des Passus in Artikel 9.6, also in etwa „wenn Matt durch irgendeine erdenkliche Folge von regelgemäßen Zügen gegen den Spieler der die Zeit überschritt, erreichbar ist, so hat dieser die Partie verloren“ oder so.

Was man angeblich oder tatsächlich „machen hätte können“ falls man noch Zeit gehabt hätte, kann wohl keine Rolle spielen, denn damit könnte man ja jede Zeitüberschreitung in Frage stellen. Das führte das Bedenkzeitlimit ad absurdum.

P.S. Eine andere Regeldiskussion, wo es um den Fall geht falls im Schnellschach beide Blättchen gefallen sind, findet man hier.

Marius 6. August 2009

1. Die Formulierung „mit normalen Mitteln“ meint, dass der Gegner des Antragstellers die Partie nur noch gewinnen kann, indem er den Antragsteller über die Zeit hebt. Das Ãœber-die-Zeit-Heben ist das nicht normale Mittel.

2. „Das ist Dauerschach“ ist keine zulässige Begründung für einen Antrag nach 10.2. Anträge nach 10.2. können begründet werden mit:
2.1. Der Gegner unternimmt keine Gewinnversuche — trifft hier nicht zu.
2.2. Der Gegner kann die Partie mit „normalen Mitteln“ (s.o.) nicht mehr gewinnen — trifft hier auch nicht zu.

3. Der Antragt ist daher sofort abzulehnen.

4. Wenn einer Dauerschach haben will, muss er es zeigen; es gibt keinen Antrag auf Remis wegen Dauerschach.

Gruß, Marius (Nationaler Schiedsrichter)

Marius 6. August 2009

Sorry, es sollte besser heißen:

4. Wenn einer Dauerschach haben will, muss er es zeigen; es gibt keinen Antrag auf Remis wegen eines zukünftigen Dauerschachs.

SHL 6. August 2009

Danke Marius!

So ist auch meine Rechtsauffassung. Wobei „unternimmt keine Gewinnversuche“ für mich schon problematisch ist. Für mich ist es auch ein Gewinnversuch, 49 Züge lang den Gegner zu verwirren, um dann im 50. den Bauernzug zu machen, der das Nichtremis bedeutet.

Was ist z.B. mit folgendem Fall: In einem Jugendturnier habe ich mal ein etwas besseres Endspiel gehabt und hatte einen Gewinnplan, bei dem ich nicht wusste, ob er funktioniert. Da mein Gegner für jeden Zug viel Zeit verbraucht hat, habe ich irgendwann verschiedene Stellungen zwei Mal wiederholt (natürlich nicht drei Mal) und den ungewissen Gewinnplan erst ausgeführt, als er nur noch ca. 8 Minuten auf der Uhr hatte. Trotz seines hohen Zeitverbrauchs war er darauf nicht vorbereitet und ich hatte schnell den ganzen Punkt. Für mich ist dieses Spiel durchaus legitim, auch wenn man mir 20 Züge lang keine Gewinnversuche anmerken konnte.

Ich bin jedenfalls froh, wenn der 10.2 zugunsten einer Increment-Zeitregelung endgültig fällt.

Marius 6. August 2009

Wobei “unternimmt keine Gewinnversuche” für mich schon problematisch ist. Für mich ist es auch ein Gewinnversuch, 49 Züge lang den Gegner zu verwirren, um dann im 50. den Bauernzug zu machen, der das Nichtremis bedeutet.

Auch hier ist das, was die Regel meint, eigentlich klar: Der Spieler beantragt Remis, weil der Gegner z. B. bloß mit den Türmen hin- und herzieht, dabei eine dreifache Stellungswiederholung vermeidet und wartet, dass beim Antragsteller die Platte fällt. Dieses Verhalten soll mit dem 10.2 verhindert werden.

Etwas anderes ist das normale Wiederholen der Stellung im Endspiel, wenn klar ist, dass der Spieler verschiedene Wege zu einem möglichen Gewinn ausprobiert. Versuche, einen Fehler beim Gegenspieler zu provozieren, sind ein normales und probates Mittel im Schachspiel. Die beiden Fälle lassen sich in der Praxis normalerweise gut unterscheiden.

Das Wegfallen des 10.2. durch die Inkrement-Regelung wird auch von den Schiedsrichtern sehnsüchtig erwartet.

MiBu 6. August 2009

Wenn hier schon ein NSR mitpostet:
@ Marius: Darf ich bei strenger Regelauslegung überhaupt ziehen, wenn der Gegner vergessen hat zu drücken? Gemäß Zf. 6.7 a) der FIDE-Regeln ist der Zug des Gegners bei Nichtdrücken der Uhr nicht abgeschlossen – kann ich bei nicht abgeschlossenem gegnerischen Zuge „am Zuge“ sein??

@all: Ãœbrigens empfinde ich einen Hinweis an den Gegner „Du hast nicht gedrückt“ nicht als Ablenkung oder Störung im Sinne des 12.6, aber diese Regel hat ohnehin eine sehr starke subjektive Komponente. Allerdings bekenne ich mich dazu, NIE den Gegner auf Nichtdrücken hinzuweisen, aber nicht aufgrund Bedenken wegen 12.6. Wenn er in Gewinnstellung eine Figur einstellt, nehme ich die auch weg… Und die Uhr nicht drücken ist für mich auch eine Art Einsteller.

SHL 6. August 2009

Hallo MiBu!

Falls letzteres einen Bezug zu Stefans Reichenbach-Story hat, sei darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine Fehlfunktion der Uhr handelte. Das ist schon ein Unterschied.

In einem Mannschaftskampf würde ich eventuell auch auf den Hinweis verzichten, in Vereinsturnieren würde ich aber im jeden Fall darauf hinweisen.

Stefan 7. August 2009

Fehlfunktion der Uhr? Eigentlich nicht, die Uhr funktionierte, war lediglich nicht „durchgedrückt“ worden.

Nordlicht_70 8. August 2009

Meiner Meinung nach hat der Schiri hier völlig richtig 0:1 wegen ZÃœ entschieden. Was ist denn passiert? Weiß hat Remis reklamiert, weil Schwarz nicht mehr gewinnen kann bzw. nur über die Zeit ziehen will. Noch einmal zur Erinnerung: Wer nach 10.2 reklamiert, muss nachweisen, dass er auch in höchster Zeitnot locker Remis halten kann, der andere muss lediglich nachweisen, dass er Gewinnversuche unternimmt (dabei sollte er im Zweifelsfalle auch Fortschritte erzielen).
Schwarz hat Gewinnversuche unternommen, indem er mit dem König versuchte, dem Dauerschach zu entwischen. Das ist eine legitime Gewinnstrategie. Das dies in schachlicher Hinsicht ein Misserfolg war (ins Mattnetz gelaufen, statt Dame gegen Turm zu opfern) ist egal. Aber genau wie Schwarz kann auch Weiß ja Fehler machen. Denn genau das was passiert ist, geht nun mal nicht. Die Zeit des Antragstellers ist knapp, er MUSS also sehr schnell ziehen. Wieso soll denn eine Partei das Recht haben, plötzlich mehr Bedenkzeit zu beanspruchen als ihm zusteht?
Weiß hatte ganz offensichtlich keinen Plan, wie er Remis halten kann, sonst hätte er in 53 Zügen mindestens 15-20 Züge gemacht. Nur zwei Züge machen heißt einfach – ich habe keine Ahnung, wie ich das Remis halte, ich reklamiere nur, weil ich nicht verlieren will. Genau dafür ist der 10.2. nicht da. Er soll lediglich verhindern, dass jemand in klarer (und einfacher) Gewinnstellung oder bei klaren Remisstellungen (L+B gegen L bei ungleichfarbigen Läufern und der King steht vor dem Bauern) sinnlos über die Zeit gehoben wird. Ansonsten gilt: Die Zeit ist im Schachsport ein (auch partie)entscheidender Faktor.

Zur Partie: Beide Spieler sahen das Matt erst bei der anschließenden Kurzanalyse, was dafür spricht, dass man Spielern in Zeitnotsituationen nicht automatisch ihre gewohnte Spielstärke zubilligen kann.

@Marius Genau, er muss das Dauerschach oder das Matt zeigen, das hat er nicht getan. (Um das zeigen zu können, sollte der Schiri die Reklamation nicht ablehnen sondern die Entscheidung hinausschieben, so wie hier geschehen.)

Marius 8. August 2009

@ MiBu: Zum Thema, wann ein Spieler am Zug ist, siehe hier.

Marius 8. August 2009

@Nordlicht_70: Der Antrag wurde falsch begründet. Ein mögliches Dauerschach ist keine Begründung für einen Antrag nach 10.2. Daher ist der Antrag sofort abzulehnen, und dem Gegner des Antragstellers sind 2 Minuten gutzuschreiben.

Werner Berger 8. August 2009

In der Schlussstellung steht Schwarz unausweichlich davor, im übernächsten Zug entsprechend der Ankündigung von Weiß mattgesetzt zu werden.

Auf welche Weise könnte er im Falle der Fortführung der Partie dennoch gewinnen?
– das Handy von Weiß klingelt.
– Weiß stirbt den plötzlichen Herztod, bevor er mattsetzen kann.
– der Schiedsrichter bestraft Weiß unter einem Vorwand mit Partieverlust.

Alles keine „normalen Mittel“.
Und wenn der Schiedsrichter zu dieser „Ãœberzeugung“ gelangt ist, ist die Entscheidung auf Remis korrekt. Ein anderer Schiedsichter mag zu einer anderen Ãœberzeugung gelangen, dann entscheidet er eben auf 0-1. So ist das, dass verschiedene Schiedsrichter den ihm von der Regel eingeräumten Beurteilungsspielraum unterschiedlich ausfüllen.

Marius 8. August 2009

Nur mal so ganz allgemein bemerkt: Es kommt nicht darauf an, die Regeln „irgendwie“ zu verstehen, sondern so, wie sie gemeint sind. Deshalb werden Schiedsrichter ausgebildet und nicht mit ihrer individuellen Interpretation auf die Schachwelt losgelassen.

CBartolomaeus 8. August 2009

@Marius: Inhaltlich leuchtet mir deine Einschätzung zum vorliegenden Fall komplett ein.
Allerdings ist mir dein letzter Post etwas zu „schiedsrichter-zentrisch“. Ich finde, dass die Regeln so formuliert sein sollten (ggf. durch eine geeignete Erläuterung), dass sie auch vom „normalen Spieler“ verstanden werden können.

Nordlicht_70 8. August 2009

@marius Weiß begründet seinen Antrag damit, dass Schwarz nicht auf Gewinn spielen kann (also „die Partie mit normalen Mitteln überhaupt nicht zu gewinnen sei“), weil er Dauerschach geben wird. Was ist daran falsch?
Der Schiri hat entsprechend die Entscheidung hinausgeschoben – um eben festzustellen, ob Weiß dazu in der Lage ist, sein Dauerschach aufrecht zu erhalten.
Natürlich gilt auch hier: „Die Schirientscheidung ist endgültig.“ Bei dem relativ vollen Brett eine durchaus vertretbare Entscheidung. Ich persönlich fand aber die Entscheidung des Schiedsrichters, Weiß die Möglichkeit eines Beweises einzuräumen (und zwar ohne das er noch einmal Remis reklamieren muss) für beide Seiten am fairsten.

@WernerBerger Selbstverständlich legt der Schiri das Ergebnis fest. Dein Argument ist aber schlicht falsch. „In der Schlussstellung steht Schwarz unausweichlich davor, im übernächsten Zug entsprechend der Ankündigung von Weiß mattgesetzt zu werden.“ Wieso kannst du behaupten dass Weiß die Züge findet, wo er doch am Brett ganz eindeutig die Uhr hat ablaufen lassen – ohne diese Züge zu finden? Ich zitiere mal den alten Willi Knebel (10.2 hat sich seit seiner Zeit im Sinn nicht geändert): „Zu beurteilen ist nicht die Stellung, sondern was die Spieler aus ihr machen…“ und „„Der 10.2“ soll die Dominanz des Faktors Zeit in der Endspurtphase einschränken, nicht aber aufheben.“ Der Antragsteller hat (fast) „nix“ gemacht – zuwenig, um den Schiri zu überzeugen, dass er einen Sieg von Schwarz verhindern kann.

Marius 9. August 2009

@ Nordlicht_70: Weiß kann sich nicht aussuchen, wie die Worte „mit normalen Mitteln“ zu verstehen sind. „Mit normalen Mitteln nicht zu gewinnen“ bedeutet, Schwarz hat keine Möglichkeit, die Partie mit spielerischen Mitteln zu gewinnen, sondern kann nur noch hoffen, Weiß über die Zeit zu heben. Vor einem solchen Verlust soll die Regel 10.2 den Antragsteller schützen. Wenn der Antragsteller ein Dauerschach sieht, muss er es spielen. „Das wird Dauerschach“ ist keine zulässige Begründung für einen Antrag auf Remis nach 10.2. Das steht aber auch schon weiter oben.

Es gibt keine Formulierung einer Regel, die nicht von irgend einem Spieler auf der Welt nicht auch anders verstanden werden könnte als sie gemeint ist. Deshalb gehört zur Regel eben nicht nur die Kenntnis des Wortlauts, sondern auch das
Wissen, darum, was mit ihr gemeint ist. Natürlich ist es möglich, die Regel 10.2 auch anders auszulegen; dadurch, dass es möglich ist, wird es aber nicht richtig.

Und der hier vorgestellte Fall hat eine ziemlich eindeutige Lösung: Der Antrag ist sofort abzulehnen, weil keine der beiden möglichen Begründungen für die verhandelte Stellung zutrifft. Die Entscheidung ist auch nicht herauszuschieben, sondern in diesem Fall ist ein Aufschieben der Entscheidung eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters. Und ich sage es jetzt auch nicht noch einmal, sondern lasse Euch einfach weiter diskutieren. Viel Spaß noch!

Werner Berger 17. Mai 2010

Schön, dass wir den Herrn Marius und Willi Knebels Geist endgültig zum Schweigen gebracht haben.

Geurt Gijssen würde jetzt sagen, dass es bei Entscheidungen nach Art. 10.2 gar keine Fehlentscheidungen geben kann, weil die Entscheidung des Schiedsrichters endgültig und damit jedweder Ãœberprüfung entzogen ist.

Für einen Beurteilungsspielraum ist es eben charakteristisch, dass die Beurteilung durch den einen Schiedsrichter anders ausfallen kann als die Beurteilung durch einen anderen Schiedsrichter. Die Regel schließt nicht aus, dass der Antrag auch verbal begründet wird. Was soll ich sonst mit einem Spieler machen, der mit dem Rex solus gegen König und zwei Springer spielt und den Remisantrag damit begründet, dass er auf das Schachgebot im entscheidenden Moment nicht in die Ecke ziehen wird? Es wäre reine Schikane, ihn das noch dreißig, vierzig weitere Züge demonstrieren zu lassen und dann bei Blättchenfall zu nullen.

Die Abseitsregel in Fußball wird auch nicht deswegen abgeschafft, weil es hierbei immer wieder Fehlentscheidungen der Schiedsrichter gibt. Statt Inkrementbedenkzeiten einzuführen, sollte man statt dessen der beständigen Bedenkzeitverkürzung Einhalt gebieten, dann würden auch weniger Anträge nach Art. 10.2 gestellt werden. Dass Schiedsrichter die Abschaffung der Endspurtphase herbeisehnen, mag auf einzelne zutreffen, aber nicht auf alle. Hier spielt wohl eher der Wunsch die Hauptrolle, in nur noch geringerem Umfang tätig werden zu müssen und die Möglichkeit auszuschließen, mangelnden Sachverstand eingestehen zu müssen, weil man nicht beurteilen kann, ob der Gegner Gewinnversuche macht oder nicht.

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