Kannst du (kann ich) den Alltag eines Schachspielers beschreiben?

Nächster Teil der Exil-Schachblätter. Diesmal ein Text von Axel Smith aus Lund in Schweden über das vorletzte Wochenende. Die holprige Übersetzung bitte ich zu entschuldigen:

Natürlich. Das letzte Wochenende ist ein gutes Beispiel. Start am Freitagnachmittag, mit Schwarz im IM-Turnier. Spiele Bellongambit (1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 e4 4.Sg5 b5?). Den Herbst damit zugebracht, mir 1.Sf3 2.g3 3.Lg2 4.0-0 beizubringen und widme nun einige Wochen dem Testen ungesunder Gambits. Die Eröffnung ist so schlecht, dass mein Gegner darüber nachdenkt, ob ich versuche, den Verstand zu verlieren. Nun gut, kämpfe weiter, kann rumtricksen und gewinne. Heftige Partie, nach solchen ist es immer schwer einzuschlafen.

Hectors Regel verlangt jedoch am Samstag ein Aufstehen um 9.15 Uhr. Bin müde und mache einen kurzen Spaziergang. Um 11 Uhr kommt eine SMS: »Schwarz gegen Kezli«. Ich habe eine Eröffnung vorbereitet, aber denke, dass die Schluss-Stellung nicht zu gewinnen ist. Es wird der beste Entschluss des Tages, zehn Minuten vor Partiebeginn zur Berliner Verteidigung zu wechseln. Da kann Kezli in Ruhe seine Zeit verbraten.

So geschieht es und in Zeitnot verwandelt sich eine kleine Initiative in ein gewonnenes Endspiel. Bin wie gewöhnlich sehr nervös. Völlig erschöpft, als die Partie nach sechs Stunden zuende ist. Gott sei Dank, dass ich nicht rauche und seit dem 10. Oktober keinen Kaffee getrunken habe. Der Nervenanspannung, die dem Schachspielen eigen ist, muss auf natürlichen Wegen abgeholfen werden. Denke ein bisschen darüber nach, wie es anders kommen kann, Emanuels scherzhafter Spruch darüber, dass »er weiß, was ihn erwartet« — was trotzdem einen Funken größten Ernstes enthält.

Abfahrt nach Deutschland. Habe Waschsachen, Steckschach, Euros, ein gutes Buch und ein Kilo Kex (sehr empfehlenswerte schwedische Keksschokolade, Anm. d. Übers.) eingepackt. Zug nach Malmö, Bus nach Trelleborg. Ankunft acht Minuten vor dem letzten Check-In. Renne volles Tempo zum Fährterminal und springe auf. Schließe die Tasche am Gurt an und lege mich auf den Fußboden, um ein paar Stunden zu schlafen. Ankunft in Deutschland, rufe um drei Uhr nachts ein Taxi. Nehme ein Zimmer im Hotel Rügen, wo ein paar Stunden Schlaf dazukommen. Hotelfrühstück. Esse so viel wie möglich, man weiß nie, wann man das nächste Mal dazu kommt. Eine schnelle Dusche. Ein paar Stunden Zug nach Greifswald. Spaziergang zum Spiellokal im Marschtempo. Ankunft 11.05 Uhr, die Partie hat angefangen.

Spiele ein ungesundes Gambit gut und bekomme ein besseres Endspiel mit Schwarz, aber sichere den Mannschaftssieg, indem ich ein Dauerschach gebe. Die Elopunkte verschwinden leicht im Mannschaftsschach.

Springe schnell in ein Auto nach Sassnitz. Beim letzten Match verpasste ich die frühe Fähre, kam nach Trelleborg, als es keine Verbindungen mehr gab und musste die halbe Nacht warten. Heute ist es besser, schaffe Bus und Zug und bin gegen Mitternacht zuhause. Der Bauch tut weh. Endlich etwas anderes zu essen als Kex. Während der Reise blieb dafür einfach keine Zeit.

Bald Montag und dann beginnt, was man eigentlich Wochenende nennen müsste — fünf Tage frei. Für Schach zu brennen und gern zu reisen ist wichtig, aber am notwendigsten, um das Leben als Schachspieler zu mögen, ist es, Niederlagen zu verwinden — daran besteht kein Zweifel. Diesmal schaffte ich es ohne.

Axel Smith

21 Kommentare

Nordlicht_70 10. März 2009

Das ist ja ziemlich stressig für Axel, in Greifswald zu spielen. Vielleicht sollten wir ihn mal zum Essen einladen – wenn mal ganz viel Zeit ist? Und er gibt uns dafür lecker Kex zu kosten…. ;-)

ElNino 10. März 2009

Er schläft auf der Fähre auf dem Fußboden?:-o Rauhe Sitten beim Verein…Wenn er mal verliert, darf er bei der Rückfahrt Wasserski hinter der Fähre laufen?:-):-)
Wo ist dieses “Hotel Rügen”? In Rostock oder auf der Insel Rügen oder womöglich geheim??

Rank zero 10. März 2009

1. Zumindest am So nach dem Pokalsieg war Zeit genug, dass ich ihn noch zum Essen einladen konnte.

2. Es handelt sich genauer um das “Rügen-Hotel” in Sassnitz, leider das einzige die Nacht durchgehend geöffnete am Ort.

Stefan 10. März 2009

1. Die Scandlines-Fähren sind so konstruiert, dass man nur auf dem Fußboden schlafen kann, wenn man eine bestimmte Körpergröße überschreitet.
2. Den Link bin ich dann noch schuldig:
http://www.kexchoklad.se

Nordlicht_70 11. März 2009

Auf unserer nächsten Lund/Malmö-Reise muss ich diese geheimnisvolle Leckerei unbedingt mal probieren. Erinnere mich doch bitte dran, ja Stefan? :-)

ElNino 11. März 2009

Mit 1.80m kriegt man gerade noch so eine Koje, hoffe ich?! Danke für die Hotel-, Fähren- und Verpflegungstipps!

Stefan 11. März 2009

Ich glaube, dass man auf der Strecke Trelleborg-Sassnitz (anders als auf der Rostocker Strecke) wegen der kurzen Ãœberfahrt keine Kabinen buchen kann, bin mir aber nicht sicher.

ElNino 12. März 2009

Was ist eigentlich “Hectors Regel”?

Stefan 12. März 2009

Ich werde mal fragen. Es geht sicher um Jonny Hector.

ElNino 12. März 2009

@Stefan: Danke! Wenn ich die Antwort weiß, werde ich bestimmt auch mal Pokal-Viertelfinale spielen…;-)

Etez 12. März 2009

Da wir schon bei der Erörterung der schwedischen Befindlichkeit sind: Weiß jemand zufällig, warum der große Ulf Andersson bei der EM schon zwei kampflose Punkte abgegeben hat?

Und kann es sein, dass es Kex auch in Island gibt?

Stefan 13. März 2009

Die schwedischen Schachseiten rätseln auch. Mittlerweile wird er auch nicht mehr ausgelost und hat das Turnier beendet.

Kex gibt es bestimmt auch auf Island, genauso wie Lakritz-Eis! Warst du da? Oder fährst du jetzt zum Reykjavík-Open?

Etez 13. März 2009

Schade um Andersson, da er doch vom Spielstil immer schon mein Idol war.

Ad Kex: Eine Kollegin brachte kürzlich durchaus wohlgenießbare Kekse (Lakritzeis jedoch nicht) aus Island mit und ich meine jetzt im Nachhinein, es könnten Kex gewesen sein, ich werde sie diesbezüglich noch einmal befragen.

Stefan 13. März 2009

Ja, du bist ja bekannt für ausufernde Positionspartien, in denen verbissen Minimalvorteile aufsummiert werden.

Zu Island: Da hast du wahrscheinlich Glück gehabt, dass sie nicht kæst skata mitgebracht hat.

Axel Smith 16. März 2009

Haho, das text var nicht zum dieses homepage planiert… :-)

Hectors regel ist das du muss zwei stunden vor die partie aufsteigen. Du braucht dieses zeit vor du klar denken kann.

Vieleicht soll ich versuche zu besser deutsch lernen…

By the way, I played once again against Evgenij Agrest. Maybe some of you reading this remember the conclusion I told you in Berlin when we played the first round in Oberliga. Against Agrest you have to make all your pawn breaks as soon as possible, because otherwise he stops them.
This time I went crazy with my pawns, after castling short I attacked with f6, h5, g5, gxh4 and played on the g-file. But it turned out well! Just before time control by move 40 I had some safe draws, but misplayed and lost again…

ElNino 16. März 2009

@Axel: Well, your german ist good enough for me to understand:-)
Now i know more about the “Hector-Regel”!

Etez 16. März 2009

Diese Smith-Regel (“This time I went crazy”) scheint zu funktionieren, wenn ich mir beispielsweise die Bosboom-Partien aus Wijk oder die heutige Amber-Partie Aronian – Kamsky anschaue, Kaffeehausschach reinster Natur, gefällt mir jedenfalls sehr. Ich für meinen Teil spiele auch, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, einfach h4, h5, h6 …

ElNino 25. März 2009

Weiß eigentlich jemand, was denn nun aus Ulf Andersson geworden ist??

Etez 25. März 2009

Aus einem Interview (http://www.chessbase.com/newsdetail.asp?newsid=5314)mit dem neuen Europameister:

Frage: You scored 8/11 in the classical part of the tournament. Which was the most difficult game for you? In one of your game the legendary Ulf Andersson did not appear for the game. Do you know why?

Antwort: The most important game for me during the whole classical part appeared to be namely… the unplayed game with Ulf. This paradoxical statement demands of course an explanation. This is it: at the last year’s EICC in Plovdiv I played very badly and could not sense the taste of winning. Here I started with 2/2, but then four colourless draws followed in a row. This lowered my mood, and I started to catch a glimpse of “the Plovdiv ghost” on the horizon. In such situations you may lose confidence in your “breaking power”. In order to get back my state of mind I urgently needed to win. This is why the preparation was very tense, and the whole morning before the game I was more anxious than usual and felt psychological fatigue… After my opponent’s forfeit I went on the level +3 , only a win away from qualifications for the World Cup. So I became relaxed, and finished the rest of the tournament confidently – relatively effortless draws with the black pieces, and wins as White.

To be fair I was very lucky to gain a point without playing – and in addition to this I obtained an additional free day. It is difficult for me to judge why Andersson did not appear for the game. However, people informed me that this was by far not the first case in his career…

(Kommentar: Am Wettkampfstand kann es aber wohl nicht gelegen haben, erste kampflose bei 3-1, die zweite bei 4-2.)

ElNino 26. März 2009

Also ist der große Andersson einfach so “verschwunden”…?!

Stefan 26. März 2009

Soweit ich gehört habe, hat Ulf Andersson ein ziemlich schwaches Nervenkostüm in Wettkampfsituationen. Vielleicht hängt es damit zusammen.

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