Weibsbild

Der Henker, der jetzt die Chalifenburg ganz und gar unter sich hat, den selbst die allmählich immer mehr aufkommenden Freunde der Zobaïda und Holagga umschmeicheln, redet wie ein ächter Staatsmann, bekämpft in erster Linie den Anhang der Prinzen Emin und Mamun. Und dann verlangt der rothe Mann, Holagga solle mit ihren Sängerinnen ein paar wehmüthige Lieder singen, um den Chalifen weicher zu stimmen. Die Holagga erklärt sich bereit, wenn Masrar so freundlich sein wolle, mit ihr eine Parthie Schach zu spielen. Und sie gehen in die stille Fischerhütte, die oben auf dem Veilchenhügel steht; die Holagga ist ein wildes Weibsbild, das vortrefflich Schach spielen kann.

Paul Scheerbart: Der Tod der Barmekiden (1897)

2 Kommentare

Permanent_Brain 9. Juli 2007

Unweigerlich drängt sich die Zwangsvorstellung auf, daß in dieser Fischerhütte nicht nur Schach gespielt wurde.

Diese Holagga ist wahrscheinlich (abgesehen vom beknackten Namen) die heimliche Traumpartnerin jedes Schachspielers. In der Realität machen wir indes überwiegend die Beobachtung, daß Eros und Caissa einander aus dem Weg zu gehen scheinen und fast nie am selben Ort präsent sind.

admin 9. Juli 2007

Weiße Rosen sickern in so großen Massen nieder, und der Veilchenhügel mit der Fischerhütte ist den Blicken der Europäer entzogen.

So geht es weiter. Da kann sich jeder seine eigenen Gedanken machen. Das Sexualleben Scheerbarts gilt ja gemeinhin als sehr beschränkt, in Mühsams „Unpolitischen Erinnerungen“ findet sich diese Stelle:

Antierotiker nannte er sich, weil ihm die Feierlichkeit, mit der seine alten Freunde Dehmel und Przybyszewski die Geschlechtsbeziehungen der Menschen als poetisch zu glorifizierende Angelegenheit behandelten, ungeheuer komisch zu sein schien. Das gesamte Gebaren der Erdbewohner in ihrer natürlichen Beschaffenheit, wie sie sich in den Dingen der Liebe und in den Vorgängen der Ernährung und des Stoffwechsels offenbart, und erst recht ihr Verhalten gegeneinander, das er vor allem in jeder Art Staatsherrschaft und in der Einrichtung des Krieges charakterisiert sah, war ihm ein unversieglicher Quell donnernden Gelächters.

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