In den letzten vier Tagen habe ich etwas gemacht, was ich einmal im Leben machen wollte. Ich habe die Landeseinzelmeisterschaft mitgespielt. Die Gelegenheit war günstig, das Turnier fand in Greifswald statt. Keine Übernachtungen und Essen zu Hause. Turnierort war das VCH-Hotel, die frühere Heimfestung meiner Mannschaft. Bis vor ein paar Jahren hatten wir hier Oberliga gespielt. Das Meisterturnier (16 Teilnehmer, 7 Runden Schweizer System) fand sogar in unserem alten Turniersaal statt. Acht Bretter, Turnierruhe und ein Schiedsrichter: Ich fühlte mich wie in einer Zeitreise, zumal auch Peter Schmidt teilnahm, mein großer Rivale im Bezirk Rostock unserer Kindertage.
Das Turnier war vernünftig organisiert, die Stimmung war gut, allein das Spielmaterial könnte ein Upgrade vertragen. Wir spielten mit Figuren aus Kunststoff auf Brettern in Holzoptik, die mit Klebestreifen am Tisch festgeklebt waren. Der Landesschachverband braucht mal eigenes Material und ein Lager.
Ich blieb wie gewohnt etwas unter meinen Möglichkeiten. Mein Schach war im Großen und Ganzen ordentlich, die Verwertung der erspielten Stellungen mangelhaft, meine Technik zum Verzweifeln. Die Geschichte meines Schachlebens in einer Nussschale. Daran wird sich nichts mehr ändern, fürchte ich. Aber ich wollte ohnehin vor allem ausprobieren, ob ich noch die Kondition für Doppelrunden habe, das hat funktioniert.
In der sechsten Runde saß ich am ersten Brett dem 13-jährigen Jakob Herrmann gegenüber, dem ich im Herbst in der Liga noch ein Remis hatte abringen können. Ein halbes Jahr später schaffte ich das nicht mehr. Die Partie war lange im Gleichgewicht, aber Jakob stellte immer neue Probleme und ließ nicht locker. An dieser Stelle war es schon verloren. Ich zeige die Stellung aus ästhetischen Gründen. Der Weiße schaffte es tatsächlich, alle drei Figuren auf meine Grundreihe zu bringen. Ich fühlte mich wie ein Eishockey-Torwart, der nicht mehr kontrollieren kann, was hinter seinem Tor passiert.
Auch die nachträgliche Analyse war beeindruckend. Wenn er psychisch stabil bleibt, wird Jakob es weit bringen. Landesmeister ist er schon.
PS: Es war eine Rückkehr mit Wehmut. Wie oft hatte ich hier mit Richard zusammengestanden und wie schön wäre es gewesen, wäre er plötzlich um die Ecke gebogen, gegen Mittag nach einem späten Frühstück, um beim Schach zuzusehen, so wie er es geliebt hatte.
5 Kommentare
Herzlichen Glückwunsch zur Teilnahme und dem Ergebnis, das ich jetzt nicht so schlecht finde. Man hätte immer besser spielen können, gerade heute mit der Analyse durch die Engines fällt das ja sicher sogar noch mehr auf als früher. Und Technik fand ich schon immer schwierig, weil langweilig und mühsam zu erlernen. In der Stellung gewinnt dann der Bauerngewinn nach Schlagen und Springerabtausch auf f6 und Schlagen mit dem Turm auf f8? Oder gibt es da noch was Besseres?
So ist es. Nach 28…Kf7 29.Sexf6 Sxf6 30.Sxf6 Kxf6 31.Txf8+ Ke5 landete ich in einem Turmendspiel, das noch schlechter war, als es aussah.
Im Moment habe ich wieder mehr Lust zum Schachspielen, das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Aber die guten Zeiten werden trotzdem nicht zurückkommen, fürchte ich.
Vielleicht sollte man „gute Zeiten“ mit „wieder mehr Lust zum Schach spielen“ reframen anstatt der „guten alten Zeit“ hinterher zu trauern.
Weise Worte, gelassen ausgesprochen.
„Ich fühlte mich wie ein Eishockey-Torwart, der nicht mehr kontrollieren kann, was hinter seinem Tor passiert“.- Sehr schön!
beste Grüße vom Schachneurotiker!