Darf man in einer solchen Stellung Remis machen? Grischuk und Kramnik vereinbarten hier in der 11. Runde des Weltmeisterschaftsturniers von Mexiko nach zwölfeinhalb Zügen Remis. Wir zeigen die ganze Partie — es ist ja nicht so viel:
1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.d4 Sxe4 4.Ld3 d5 5.Sxe5 Sd7 6.Sc3 Sxc3 7.bxc3 Sxe5 8.dxe5 Le7 9.Dh5 Le6 10.Tb1 Dd7 11.Lg5
11.h3 b6 (11…0-0-0 12.Lb5 c6 13.La6 bxa6 14.De2) 12.0-0 g6 13.Dh6 war ein Verbesserungsversuch in Sutovsky-Shirov (Kemer 2007)
11…c6
New in Chess 12/2007 setzt für diese Neuerung Kramniks ein Ausrufezeichen. 11…0-0-0 12.Lb5 (12.0-0 h6 13.Lxe7 Dxe7 14.De2 Dc5 15.Dd2 d4 16.cxd4 Txd4) 12…c6 13.La6 geschah in der Partie Sutovsky-Sakaev (Dresden 2007). Ein schönes Manöver, welches der Rechner allerdings, anders als 11…c6, ohne zu zögern anzeigt. Es ging weiter mit 13…Lg4 (13…g6 14.Lxb7+ Dxb7 15.Txb7 gxh5 16.Txe7; 13…bxa6 14.De2 Dc7 15.Dxa6+ Kd7 16.Tb7 ist gleichfalls hoffnungslos) 14.Dxf7 Lxg5 15.Txb7 Dxf7 16.Txf7+ Kb8 17.0-0 Lc8 18.Tb1+ Ka8 19.Lxc8 Txc8 20.Tbb7 Tce8 21.Txa7+ Kb8 22.Tfb7+ Kc8 23.Txg7 Kb8 24.g3 Ld2 25.Tgb7+ Kc8 26.Tc7+ Kb8 und Weiß sollte jetzt nach 27.Tab7+ Ka8 28.f4 Lxc3 29.Txh7 gewinnen; 11…b6 12.Lb5 c6 13.Lxe7 cxb5 14.Ld6 ist auch weißer Vorteil.
12.0-0 Lxg5 13.Dxg5 ½-½
Schach 11/2007 zitiert zunächst die Erklärung Kramniks aus der anschließenden Pressekonferenz (er habe seine Gegner durch die Ablehnung des Remisgebotes nicht beleidigen wollen, ein zusätzlicher Ruhetag sei hilfreich, er respektiere die Logik des Schachs) um dann zum ganz großen Rundumschlag auszuholen:
Die Spitzenspieler und das breite Publikum sind nicht kompatibel. Niemand von der Basis versteht diesen merkwürdigen Ehrenkodex der Profis, mit Schwarz eine ausgeglichene Stellung gegen ihresgleichen nicht weiterspielen zu wollen, um den Gegner nicht zu beleidigen. Selbst wenn es um die letzte Chance geht, den Weltmeistertitel zu verteidigen.
Nun mag man ja darüber streiten, um man ein solches Verhalten als höflich oder manierlich ansehen will oder auch nicht. Mir scheint dieser Streit auf den Punkt zurückzuführen, ob man Schach in erster Linie als Spiel oder als Sport versteht. Ich möchte mich nur gegen die stillschweigende Einvernahme der „Basis“ wehren — zu der ich mich auch zähle. Mich hat dieses Remis überhaupt nicht gestört. Meines Erachtens ist es Sache der Spieler, ein Remis zu vereinbaren — oder auch nicht. (In Mannschaftskämpfen kann etwas anderes gelten.) Solange das Remis nicht abgesprochen oder gar bezahlt ist und (etwa bei offenen Turnieren) keine Wettbewerbsverzerrung eintritt, wüsste ich nicht, was dagegen einzuwenden ist, wenn zwei gleichstarke Spieler eine ausgeglichene Stellung nicht ausspielen. Ich hatte nichts gegen die unzähligen Remisen und den Zweikämpfen zwischen Kasparov und Karpov. Ich finde vielmehr einen Weltcupmodus problematisch, der einen solchen Spieler wie Aronian dazu bringt, ein totremises Turmendspiel endlos weiterzuspielen. Das finde ich eher unwürdig, als dieses Remis nach zwölfeinhalb Zügen.
Just my two cents.
10 Kommentare
Ich bin bekanntlich kein Kramnik-Fan, habe es aber auch unterlassen, auf diesem frühen Remis herumzureiten. Zumal es einfach der Spielanlage Kramniks entspricht – er wählt nun einmal seine Eröffnungen nicht so, dass er mit Schwarz auf Sieg spielen will. Nicht umsonst kommen seine deutlichen Siege in Kurzdistanz-Turnieren zu Stande, die sehr ausgeglichen besetzt sind und in denen er eine Weißpartie mehr hat (2007 Dortmund, Moskau).
Wenn überhaupt, müsste man diesen Spielansatz kritisieren – aber es kann nun eben keiner aus seiner Haut. Dass er dann das Remis nimmt, auf das er es angelegt, hat, ist völlig normal (meine ketzerische Vermutung ist ja, dass er in doppelrundigen Turnieren mit lauter 2600er-2650er-Gegnern sofort 50 ELO-Punkte tiefer spielt, eben weil er mit Schwarz die ganzen Remisen abgibt).
Die Bemerkung, dass eine Ablehnung eine Beleidigung des Gegners wäre, überzeugt zwar nicht, allerdings halte ich sie sowieso für vorgeschoben, um von obigem Sachverhalt abzulenken. Kramnik definiert m.E. sowieso seinen Ehrenkodex immer so, wie es gerade passt – man denke an seine berüchtigte Champions-League-Bemerkung (wie verträgt die sich mit dem Respekt vor dem Schachspiel?).
Richtig ist die Bemerkung, dass die Basis hier bei weitem keine so homogene Auffassung hat, wie es unterstellt wird. Zwar gibt es viele Turniere, wo Ärger über dergleichen geschobene Remisen angebracht ist – etwa Open, die man mitbezahlt und in denen sich manche GMs dadurch bequem zum Preisgeld schieben, oder Einladungsturniere, wo der Mäzen/Sponsor zu Recht sauer sein darf (aber hier muss man eben den Gegendruck ausüben, etwa Open boykottieren, in denen faule Titelträger ihre Abzockerei betreiben oder eben als Mäzen/Sponsor solche Leute nicht mehr einladen) – die WM gehörte aber nicht dazu.
Ich finde allerdings die Argumentation nicht schlüssig, dass der Weltcupmodus unwürdig sei, weil er
.
Denn, wie so schön gesagt wurde, es ist Sache des Spielers, ob er „unwürdig“ weiterspielen oder Remis machen will. Aronjan wäre hier frei gewesen, auf die letzten 20 Züge zu verzichten und seine nicht existierende Chance ebensowenig wahrzunehmen wie Kramnik. Solche Situationen des „Kampfs bis zum Letzten“ kommen auch in ganz normalen Modi vor, leider allerdings häufiger beim Schnell-Stechen – weshalb dieses m.E. eigentlich auch nichts in WM-Kämpfen als Tie-Break zu suchen hat.
Nicht unwürdig, sondern problematisch meinte ich, weil dieses KO-System in Verbindung mit dem increasement auffallend häufig zu solchen Endspielschlangen geführt hat. Der Wegfall der zeitkontrolle führt ja dazu, dass nirgendwann mehr Zeit bleibt, ein Endspiel auch mal durchzurechnen. Da spielt man denn weiter, weil man gar nicht genau weiß, wie sie Stellung einzuschätzen ist. Ich glaube, dass wir uns hier auch einig sind.
Es gehört zu meinen Alpträumen, dass ein Schachweltmeister irgendwann mal in einer Blitzpartie ermittelt wird. Genau dagegen halr ja die alte Regel, dass der Titelträger im Falle des Gleichstandes den Titel behält.
Gegen mich hätte Aronian natürlich weiterspielen können, ich hätte das Turmendspiel nicht gehalten ;-)
Also bitte, warum haben wir das eigentlich geübt?! In der Aronjan-Partie brauchte man doch nur die Philidor-Methode zu kennen?! Ich bin da durchaus nicht einig, dass den beiden nicht klar war, wie das Endspiel einzuschätzen ist – vielmehr bin ich davon überzeigt, dass beide genau wussten, dass es elementar Remis ist.
Ich bin zwar gegen die Methoden des Stechens, aber auch gegen die alte Regel, dass bei Gleichstand der Titelträger gewinnt – der Vorteil ist einfach zu groß und kann im Extremfall zu sehr unschönen Kämpfen führen.
Mein bekannter Vorschlag: Bei Gleichstand Normalpartien mit „Sudden Death“-Charakter, wobei evtl. zusätzlich entstehende Organisationskosten beiden vom Preisgeld abgezogen werden und der Titelverteidiger den Vorteil der ersten Weiß-Sudden Death-Partie hat.
Seit dieser Partie würde ich gegen mich jedes Turmendspiel weiterspielen. Habe sogar schon mal ein Doppeltumendspiel mit zwei Mehrbauern verloren – davon aber keine Aufzeichnungen mehr.
Habe mich schlecht ausgedrückt, die Aronian-Partie war natürlich elementar remis, ich hatte da eher einige andere Schlussspiele im Kopf.
Wenn überhaupt, müßte hier die Kritik in erster Linie bei Grischuk ansetzen der das Remis angeboten hat, doch nicht bei Kramnik der es nur annahm (falls es zutrifft daß Schwarz hier jedenfalls nicht besser steht; ich nehms mal an auch wenn ich über c2+c3 runzle).
Um den Geschmack zu kurzer Remispartien loszuwerden, könnte man sich folgendes Beispiel ansehen, wo einem GM zwecks Erforschung des Softwareverhaltens kein Remis angeboten wurde, und er erst nach 139 Zügen aufgrund der 50 Züge-Regel erlöst wurde:
hier
Das ist quasi das andere Extrem. – Am nächsten Tag verlor Benjamin beide Partien, also das dürfte doch etwas zermürbend gewirkt haben.
Der ganze Bereich ist deshalb so ambivalent, weil sich hier verschiedene Ebenen überschneiden, die zum Teil gegenläufiger Natur sind.
Zum einen existieren positionsgemäße Ãœberlegungen eine Rolle: Wie ist die Stellung an und für sich einzuschätzen? Wenn man Schach rein als Wissenschaft auffasste, dann könnte man natürlich sagen, dass verschiedene Stellungen ausgeglichen und damit auch remis sind, ein Weiterspielen somit nur eine wenig sinnvolle Fortsetzung eines quasi schon feststehendes Ergebnisses ist. Wenn man jedoch diese Ãœberlegungen weiterdenkt, kann man ebenso behaupten, dass durch das Weiterspielen ja nichts verändert wird und man sozusagen das „reine“ Schach demonstriert und man das Remis später vereinbart. Oder in die andere Richtung gedacht könnte man eventuell auch in der Ausgangsstellung die Hände zur Begrüßung und gleichzeitig zum Remisschluss schütteln.
Darüberhinaus existieren immer auch wettkampfsbezogene Ãœberlegungen, bei denen es nicht nur darum geht, was korrekt wäre, sondern was sich in bezug auf den Stand des Wettkampfes anbietet, weiterspielen, etwas riskieren, den Spatz in der Hand etc. Als Einzelspieler ist man da seines eigenen Glückes Schmied, in der Mannschaft ist man jedoch da auch höheren Zwängen ausgesetzt.
Zugleich besteht auch ein schachlicher Verhaltenskodex, der sich mit dem richtigen Zeitpunkt der Aufgabe (war da nicht mal was?), dem Verhalten am Brett, dem adäquaten Remisangebot etc. befasst. Dieser schließt natürlich die Einschätzung der Stärke des Gegners mit ein, Schachfreund Kramnik hätte gegen mich in dieser Stellung wohl kaum in ein Remis eingewilligt.
Ein Kodex sollte jedoch nicht nur gegenüber dem Konkorrenten bestehen, sondern auch gegenüber den Geldgebern und Zuschauern. Dieser Punkt verträgt sich selbstverständlich nicht unbedingt mit dem vorherigen Punkt, ebensowenig in diverseren Fällen mit Schach als Wissenschaft oder Wettkampfsport.
Desweiteren sollte man nicht vergessen, dass es sich hier um Schachprofis handelt, die sich nicht nur mit dem Streben nach Schönheit, sondern auch mit dem Streben nach einem vernünftigen Auskommen befassen müssen, somit pragmatische Ãœberlegungen eine Rolle spielen. Ebenso wie es sich für einen Fußballer insofern lohnen kann, eine Schwalbe zu begehen und damit die Basis für ein höheres Auskommen des Vereins und des Spielers selbst legen kann, ist z. B. ein abgesprochenes Remis zur Erreichung eines Preisgeldes aus ökonomischer Sicht nicht durchweg von der Hand zu weisen (die Bewertung eines absichtlichen Verlustes ist bedenklicher, jedoch aus dieser Sicht definitiv bedenkenswert!).
Wie jetzt aus der Gemengelage von schachlichen, wettkampftechnischen, auf Verhaltensrichtlinien basierenden und wirtschaftlichen Motiven eine Handlungsanweisung gebildet werden kann, ist meines Erachtens nicht per se herzuleiten.
Nur kurz zum Thema Aufgeben und Höflichkeit beim Schach: Soll man sich ein schönes Matt eigentlich zeigen lassen oder es im Geiste belassen und vorher das Handtuch werfen? Bei meinem ersten Xiangqi-Turnier habe ich mich für ersteres entschieden – werde ich demnächst mal vorführen.
Selbst dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Wenn ich mich richtig erinnere, galt es aber früher zumindest als unfein, ein schönes Matt nicht aufs Brett kommen zu lassen – zumindest erinnere ich mich an einige kritische Kommentare aus dem 19. jahrhundert zu unzeitgemäßen Aufgaben.
@Stefan: Könntest Du übrigens Deinem Link das fehlende e hinzufügen? Nicht nur, dass „www.schachblatter.de“ ins Leere führt – es weckt auch unangenehme Assoziationen an die ganzen Sepp-Blatter-Äquivalente im Schach, von denen wir leider viel zu viele haben…
Also ich persönlich finde, dass man ein wirklich schönes Matt gerne „ausspielen“ darf. Wobei ich es auch niemandem übel nehmen würde, wenn er vorher aufgibt.
Also, erstens werde ich nie Matt gesetzt oder komme in diese Gefahr, zweitens, wenn doch, gebe ich nicht auf oder lasse es mir zeigen, sondern verlasse unter Protest lautstark Unflätigkeiten brüllend den Spielsaal, drittens, ziehe ich daraus meine Konsequenzen und rede hinfort mit dem offensichtlich unfairen Konkurrenten hinfort nicht mehr und schneide ihn viertens selbstverständlich auch im nichtschachlichen Bereich. Soviel Ehre muss man doch haben, oder?
In einem älteren Schachbuch las ich kürzlich, dass Spieleren Tantiemen für den Abdruck ihrer Partien gezahlt werden sollten, wobei der Verlierer immerhin nach Meinung des Autors noch 25 % erhalten sollte. Insofern wäre die Bevorzugung eines schönen Endes doch auch lukrativer als eine langwieriges Dahinsiechen oder eine schnöde Aufgabe.