Es wird wohl 1905 gewesen sein, daß ich zum ersten Male einige Zeit angemeldeter Einwohner Münchens und selbstverständlich Schwabings war. Zum Stammlokal wurde das „Café Stefanie“ gewählt, an der Peripherie des Künstlerviertels, im Münchener Quartier latin gelegen. Hier verkehrten massenhaft Maler, Schriftsteller und Genieanwärter jeder Art, auch viele ausländische Künstler, Russen, Ungarn und Balkanslawen, kurz das, was der Münchener Eingeborene in den Sammelnamen „Schlawiner“ zusammenfaßt. Ein Ecktisch war für eine Anzahl Berühmtheiten reserviert, deren einige dem Schachspiel oblagen, andere die Tagesereignisse auf den Gebieten der Literatur, der Kunst und des Theaters erörterten. Dort lernte ich Max Halbe kennen und Max Dauthendey und habe dann jahrelang an dem Ecktisch fast täglich Schach gespielt mit Roda Roda und Gustav Meyrink, mit dem Syndikus der Münchener Kunstakademie Professor Eugen von Stieler und mit dem „Major“, dem Maler und Schriftsteller August von Hoffmann-Bestenhof, einem ehemaligen österreichischen Offizier, mit dem Maler Max Nonnenbruch und vielen anderen. Auch den überaus feinen, klugen und ironischen baltischen Romancier Graf Eduard Keyserling habe ich dort noch getroffen, bevor er, blind und gelähmt, ganz an den Rollstuhl gefesselt war.
Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen (1927)
8 Kommentare
Hmmm…was mach‘ ich jetzt mit meinem Draft zu Mühsams 130. im nächsten Jahr? Natürlich habe ich genau dieselbe Stelle zitiert…
Apropos doppelte Arbeit: Machst Du Dich noch mal an Spela schack mot döden (4)? Ich würde das sonst auch übernehmen.
Du hast ja einen langen Vorlauf. Ich sehe aber kein Problem, bis dahin haben das alle wieder vergessen. Das Bergman-Stück liegt schon auf meinem Schreibtisch, muss noch von Hand übersetzt werden und lange vor der Schach-Stelle anfangen, weil sonst die Dramaturgie nicht klar wird. Das würde ich zu Ãœbungszwecken gern behalten, wenn du einverstanden bist.
(Ich hatte eigentlich gehofft, wenigstens bei dieser Sprache einen kleinen Vorsprung zu haben, aber in Sassnitz ist man wahrscheinlich dichter dran. Ich nehme an, dass du schon als kleiner Junge mit schwedischen Matrosen in der Hafenklause geklönt hast.)
Im Sinne der Legendenbildung sollte ich dem letzten Absatz vielleicht lieber nicht widersprechen, aber um doch der Realität Genüge zu tun: Schwedische Matrosen waren praktisch nicht in Sassnitzer Hafenkneipen zu finden (Pendelfährbetrieb passt nun mal nicht zu stundenlangem Landgang). Es gab höchstens schwedische Fernfahrer, die sich kilometerlang vor dem Hafen stauten – von denen haben aber eher deviseninteressierte Mädchen ein paar Brocken Schwedisch gelernt (das wäre auch noch mal ein eigenes Thema, „der längste Straßenstrich der sozialistischen DDR“).
Also, ich spreche Schwedisch gar nicht und verstehe es auch kaum, aber die Ãœbersetzung schriftlicher Texte ist eben doch recht simpel, zumal wegen der vielen gleichen Wortstämme („Bei Schwedisch hat man das Vokabular geschenkt“, behauptete mal eine Skandinavistik-Freundin, die es eigentlich wissen muss; wobei sie m.E. doch etwas übertrieben hat).
Außerdem müssen wir im Zentralblatt regelmäßig Texte aus Sprachen übersetzen, die wir nur ansatzweise verstehen; das trainiert ganz gut (und ist in der Mathematik oft sowieso leichter, da man sich anhand der Formeln schon denken kann, was dazwischen steht).
Fazit: Bei Schwedisch hast Du einen uneinholbaren Vorsprung.
Und was haben die Mädchen mit den schwedischen Kronen gemacht? Die konnte man im Intershop ja gar nicht umsetzen. War mir noch gar nicht bekannt. Und ist die zweite Stelle für mich, an der es zu DDR-Zeiten einen Stau gab. Hat dazu schon ein Verkehrsplaner promoviert? „Staus in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokartischen Republik – eine vergleichende Untersuchung eines modernen Phänomens“
Uneinholbar ist nichts, schon gar nicht bei mir.
Fernfahrer haben im Transitverkehr meist mehrere Währungen dabei, damals meist auch ein gewisses DM-Kontingent. Und dann gab es auch noch Naturalien-Währung, einige Dinge waren bekanntlich in der DDR knapp, und auf Rügen noch knapper.
Rügen hatte doch bestimmt eine stabile Versorgungslage, immerhin konntet ihr doch jederzeit mit der Einstellung der Fischlieferungen drohen.
Drohen? Du machst Witze…stimmt aber, dass wir durch schwarz abgezweigten Fisch noch eine gewisse Grundsicherung hatten, zumal der dem Export entzogene Aal, heimlich im Heim geräuchert, eine taugliche Tauschware war.
Aber zumindest im Sommer war es eine Katastrophe – die Planwirtschaft sah nun mal nicht vor, dass auf jeden Einwohner mehrere Touristen kommen. Zumal die doch noch etwas leichter tagsüber einkaufen konnten – abends waren manchmal sogar Grundnahrungsmittel knapp (ergo stellten wir Schulkinder uns immer sofort nach dem Unterricht an; bzw. man machte in der schlimmsten Zeit woanders Urlaub).
Für Obst & Gemüse waren wir jedenfalls im wesentlichen auf die drei Gärten angewiesen, die mein Vater nebenbei bewirtschaftete.
Der Konsum im Reifergang hatte jedenfalls fast alles da, was auf meinem Einkaufszettel stand. Obwohl: Die Karena-Produktion hinkte im Sommer etwas den Bedürfnissen der Barther Jungs hinterher. Aber sicher waren auf Rügen mehr Urlauber als bei uns, wenngleich die Strände auf dem Darß viel schöner sind.