Heroes

Man durfte gespannt sein, wie New in Chess 2/2008 die publizistische Herausforderung durch Fischers Tod meistern würde. Natürlich souverän. Das Heft macht mit einem 24-seitigen Artikel von Dirk Jan ten Geuzendam auf, der nach Island gefahren ist und mit einem Großteil der Menschen sprechen konnte, die Fischers Asyl auf der Atlantikinsel organisiert haben und ihm den letzten drei Jahren begegnet sind. 24 Seiten ohne ein einziges Schachdiagramm – sehr passend für einen Spieler, der das Interesse am Schach verlor, nachdem er Weltmeister geworden war. Stattdessen entsteht ein berührendes Bild eines schwerkranken Menschen. Ein antiamerikanischer Amerikaner. Ein antisemitischer Jude. Ein Idol auf der Flucht. Paranoid und misstrauisch. Vielleicht ein Ehemann und Vater. Ein Kinderfreund. Ein Leser. Ein Gesprächspartner für den Leiter der Álfaskólinn. Ein Musikliebhaber, der jede Zeile von Jackie Wilson kannte. Der Patti Smith und Björk auf Island traf. Der seine Freunde vor dem Kopf stieß. Der sich nicht helfen ließ. Der noch leben könnte.

Jan Timman berichtet über ein Treffen mit Fischer im Frühjahr 1990. Fischer zeigte ihm einige Analysen auf seinem legendären deutschen Taschenschach. Nach einer langen Nacht saß Timman morgens in seinem Hotel und schrieb alles auf, woran er sich noch erinnern konnte. Jonathan Rowson notiert 60 Fischer-Momente in seinem Leben – wodurch ein fast schon poetisch zu nennender Text entsteht. Der Kasparov-Kolumne zu Fischer ist schließlich ein Zwiespalt anzumerken: Fischer war gewiss groß, aber größer als ich?

Viele große Namen. Umso mehr fällt die Differenz zum gegenwärtigen Spitzenschach ins Auge. Topalov kommentiert seine berühmte Partie gegen Kramnik in Wijk aan Zee auf eine etwas widerliche Weise. Natürlich habe Kramnik in Elista auf der Toilette betrogen, ansonsten sei ja gar nicht zu erklären, wie er diesen Wettkampf habe verlieren können. Offenbar scheint an dieser Litanei niemand mehr so recht Anstoß zu nehmen wollen. Für meinen Geschmack etwas zu viel Hochmut vom jemandem, der 21 Züge (fremde) Vorbereitung abgespult und das Turnier gerade mit -1 abgeschlossen hat. Hinzu kommt das traurige Handschlag-Kapitel Cheparinovs aus dem B-Turnier. Short findet in seinem Kommentar der Nachholepartie deutliche Worte dafür. Auch Movsesian, der Turniersieger, kommt auf diesen Vorfall zurück und schildert, dass er sich deswegen in seiner Partie längere Zeit nicht richtig habe konzentrieren können. Dieses Aspekt war mir neu. Mal sehen, wer im nächsten Jahr nach Wijk eingeladen wird.

Ein Kommentar

Permanent_Brain 18. März 2008

Edward Winter bezeichnet den Geuzendam-Artikel als einen von drei Fischer-Nachrufen „von bleibendem Wert“. Siehe Eintrag Nr. 5460 in seinen Chess Notes.

http://www.chesshistory.com/winter/

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